ENDRE TÓT | SEMMI SEM SEMMI | curated by Róna Kopeczky

Die von der Christine König Galerie im Rahmen des curated by Programms organisierte Ausstellung mit dem Titel SEMMI SEM SEMMI, präsentiert Werke von Endre Tót, einem der bedeutendsten Figuren der ungarischen Neo-Avantgarde. Als Teil dieser Generation gilt er auch als führender Vertreter der internationalen Konzeptkunst und mail art-Szene. Die in dieser Schau versammelten Arbeiten entstanden zwischen den frühen Siebzigern und in den Jahren ab 2010. Ab 1970 hatte sich Tót von der abstrakt-expressionistischen und der informellen Malerei abgewandt, bevor er in den achtziger Jahren ganz geheim zu einem gestischen Malstil zurückkehrte, was er dann im Sommer von 2021 offengelegt hat. In diesen fünf Jahrzehnten entfaltete sich eine thematisch konzeptuelle Werksgruppe auf der Grundlage einer Reihe von (neuen) Medien, darunter Künstlerbuch, Telegramm, Postkarte, Schreibmaschine, Post- und Gummistempeln, Video, Plakate, Graffiti, Transparente und Aktionen. Die hier gezeigten Arbeiten untersuchen die drei von ihm ab 1971 geprägten Grundbegriffe Zer0, Joy (Freude) und Rain – konzeptuelle mit Humor und Spott spielenden Überlebensstrategien, die der Künstler als Reaktion auf den düsteren realsozialistischen Alltag entwickelte. Vor dem Hintergrund der traumatischen geopolitischen Ereignisse von diesem Jahr, des auch an unseren Grenzen tobenden Krieges in der Ukraine und der noch immerwährenden Ost-West-Dichotomie, die unser Dasein bestimmt, ist das Leben und das künstlerische Schaffen Endre Tóts von überaus großer Aktualität. Sein Werk, das sich seit 1979 zwischen Ungarn und Westdeutschland entfaltet, bildet jedenfalls einen visuellen, konzeptuellen Gegenpol zu unserer unruhigen Zeit.
Das Konzept mit dem Motiv von Zer0 tauchte in den Mail Art-Aktivitäten des Künstlers auf, einer Form künstlerischer Kommunikation, die seine konzeptuelle Kunst perfekt wiedergab, aber gleichzeitig ab 1971 die einzige Möglichkeit war, von hinter dem Eisernen Vorhang mit den führenden Protagonisten der internationalen Avantgarde zu korrespondieren. Für Tót symbolisierte das Zer0 Zeichen, das die mathematische Vorstellung des Nichts darstellt, vor allem die Absurdität der Kommunikation, aber auch die Vorstellung von Abwesenheit vs. Präsenz. Die philosophischen und politischen Aspekte des Zeichens „0“ zeugten auch vom ontologischen Verständnis der realsozialistischen Lebensbedingungen von StaatsbürgerInnen und KünstlerInnen. Angesichts der Einschränkung der Redefreiheit unter dem sozialistischen Regime war der Text als Kommunikationsform mit einer gewissen Gefahr verbunden. Tóts Arbeiten kommunizierten durch Nicht-Kommunikation, durch Nichts-Sagen und durch das Abbilden der Abwesenheit, wie dies in den Serien Nothing, Absent Painting und Blackout Painting – in unmittelbarer Verbindung mit dem Zer0 Konzept – zum Ausdruck kam.
Die zweite Werksgruppe aus Endre Tóts frühen konzeptuellen Schaffensphase sind seine Rain Arbeiten. Das Regenmuster, das er mit einer begrenzten Anzahl von visuellen Mitteln schuf, indem er wiederholt auf die „/“-Taste auf seiner Schreibmaschine druckte, ist stets von einem Text begleitet. Der Text bietet einen fruchtbaren Boden für die geistige Verspieltheit des künstlerischen Ansatzes, der sich mitunter in Form banaler Tautologie zeigte, um sich dann wiederum als (selbst) ironischen künstlerischen Ausdruck oder in humorvollen politischen Bezügen niederzuschlagen. Vorgefundenes Bildmaterial – Postkarten, Reproduktionen bekannter Gemälde oder Abbildungen aus Zeitschriften – schufen das Ausgangsmaterial eines beachtlichen Anteils der „Regen“ Arbeiten, in welchen der Künstler Texte einfügt, die sich in deutlicher Verbindung mit visueller Poesie auf das Bild oder die Form des Regens beziehen.

Die erste Joy (Freude) Arbeit des Künstlers aus dem Jahr 1971 bestand aus einem einzigen Satz, der auf Englisch und auf Ungarisch auf einem postkartengroßen Karton stand: „Es freut mich, dass ich diesen Satz drucken lassen konnte.“ Angesichts der autoritären Kontrolle, die das sozialistische Regime über jedwede Form der Veröffentlichung, des Druckens und der Verbreitung von Texten ausübte, ist Endre Tóts Satz ein ironischer Ausdruck des Optimismus, den der Staat von seinen Staatsbürgern einforderte. Tót selbst schrieb folgendes dazu: „Meine ‚Joys‘ widerspiegelten den totalitären Staat der siebziger Jahre. Ich antwortete mit der absurden Euphorie der Freude auf Zensur, Isolation, Unterdrückung, die alle Lebensbereiche durchzogen, auch wenn diese Unterdrückung, die ganz subtil wirkte, kaum sichtbar war.“ Das Bewusstsein des Künstlers, dass die Autorität ihn für seinen Ausdruck der Freude nicht belangen konnte, ließ weitere Joy-Arbeiten entstehen, und bildeten den Auftakt zur Entwicklung und Verbreitung des Themas und Tóts sich allmählich entfaltenden Aktionismus, insbesondere die Gladness Demonstrations und die als Very Special Gladnesses bekannte Serie, in der Bild und Text miteinander assoziiert wurden.
Der Künstler wird bei der Eröffnung anwesend sein und ein ortsspezifisches Stück auf den Wänden des Raums realisieren.
Die Ausstellung wurde in Zusammenarbeit mit der acb Gallery in Budapest organisiert.
(Róna Kopeczky, Budapest, 2022)


Presented by Christine König Galerie in the framework of the curated by program, the exhibition entitled SEMMI SEM SEMMI features works by Endre Tót, one of the most significant figures of the Hungarian neo-avant-garde generation, as well as an emblematic figure of international conceptual and mail art. The works comprised in the show were realized between the early 1970s and the 2010s, after Tót gave up – abstract expressionist and Informel – painting in 1970, only to return to the painterly gesture in total secrecy in the 1980s and to reveal this fact in the Summer of 2021. During these five decades, the Hungarian artist elaborated and unfolded thematic conceptual series in a variety of (new) media such artist books, telegrams, postcards, typewriting, postal and rubber stamps, video, posters, graffiti, banners or actions. The pieces on view in the exhibition investigate the three fundamental concepts he conceived by 1971, termed Zer0, Joy and Rain, that were elaborated as conceptual survival strategies using derision and humour against the grim Socialist everyday life. In the light of this year’s traumatic geopolitical events, the war in Ukraine raging at our borders, and the still prevailing East-West dichotomy that shapes our existence, Endre Tót’s life – balancing between Hungary and West Germany since 1979 – and works remain sharply relevant, contemporary, therefore offering a visual, conceptual antidote to our anxious times.


The concept and motif of Zer0 first made its appearance in the artist’s mail art activity, a form of artistic communication that conveyed perfectly his idea-based art, while also constituting the only means to initiate correspondence as early as 1971 with the most prominent figures of the international avant-garde from behind the iron curtain. For Tót, the Zer0 sign, which embodied the mathematical concept of nothing, primarily symbolised the absurdity of communication, but also the concepts of absence and presence, while the philosophical and political aspects of the character “0” certainly reflected an ontological approach of the condition of both citizens and artists under state Socialism. The text, as a means of communication – was dangerous grounds considering how the freedom of speech was curbed in the socialist regime. Tót’s works, however, communicated by not communicating, by saying nothing, and by picturing absence, as expressed in the Nothing, Absent Painting and Blackout Painting series – in direct connection with the Zer0 concept.


The second group of artworks from Endre Tót’s early conceptual period are his Rain pieces. The raining pattern, created with an economy of visual means by repeatedly hitting the “/” sign on the typewriter, is always accompanied by text, a fertile ground for the intellectual playfulness characteristic of Endre Tót’s approach, which at times manifested in the form of banal tautology, and at other times as (self-)ironic artistic self-expression or humorous political references. Found pictures – postcards, reproductions of well-known paintings, or images from magazines – comprised the basis of a significant portion of the “Rain” works, in which the artist inserted texts with references to the image or the shape of the rain, in clear connection with visual poetry.
Made in 1971, Endre Tót’s first Joy-piece which was a single sentence in English and Hungarian on a postcard-sized cardboard sheet: “I am glad that I could have this sentence printed.” In the light of the authoritarian control exerted by the socialist regime over any form of publishing, printing and circulating texts, Tót’s sentence is an ironic expression of the optimism demanded by the state from its citizens. Tót himself writes the following: “My ‘Joys’ were the reflections of the totalitarian state of the seventies. I responded with the absurd euphoria of Joys to censorship, isolation, suppression sensed in every field of life, though this suppression worked with the subtlest means, hardly visible.” The artist’s recognition of the fact that he cannot be held accountable by the authorities for expressing his joy gave rise to further Joy-pieces, the development, universalisation of the topic as well as the Tót’s gradually unfolding actionism, especially the Gladness Demonstrations and the series Very Special Gladnesses, associating image and text.
The artist will be present for the opening and will realise a site-specific piece on the walls of the space.
The exhibition is organised in collaboration with acb Gallery, Budapest.


(Róna Kopeczky, Budapest, 2022, translated by Camilla Nielsen)


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