PAYER GABRIEL | Iconography of Proof | 19|10 – 25|11|2023
“Ingenieurwesen, Botanik, Architektur, Mathematik – keine dieser Wissenschaften kann das, worüber sie sprechen, nur durch Texte allein beschreiben; sie müssen die Dinge zeigen. Dieses Zeigen, das zur Überzeugung so wesentlich ist, war vor der Erfindung ‘eingravierter Bilder’ vollkommen unmöglich. Ein Text konnte nur mit einigen Verfälschungen kopiert werden, nicht jedoch ein Diagramm, ein anatomischer Stich oder eine Karte. (…) Wir sind so an diese Welt von Formen und Bildern gewöhnt, dass wir kaum denken können, wie es ist, etwas ohne Index, Bibliographien, Wörterbücher, Papiere mit Referenzen, Tabellen, Spalten, Fotographien, Peaks, Punkte und Bänder zu wissen“. (zit.n.Bruno Latour)
Bruno Latour beschreibt, wie wissenschaftliche Prozesse letztlich über visuelle Inskriptionen sichtbar gemacht werden: „Was sichtbar ist, ist ein Standbild eines Prozesses von Transformationen, der schwer greifbar ist, eine angemessene Form von Unsichtbarkeit.“ Hier ergeben sich Parallelen zum künstlerischen Prozess des Zeichnens. Auch die Zeichnung beruht auf unzähligen Prozessen des Abwägens, Nachdenkens, Recherchierens, Entscheidens und Verwerfens, die unsichtbar mitschwingen. Die Verwendung wissenschaftlicher „Sujets“ in antidisziplinärer Form ist ein Verweis auf etwaige Unsichtbarkeiten, die wissenschaftliche Bilder mit sich tragen. Eine Verschmelzung, sogar Verwechslung des wissenschaftlichen mit dem künstlerischen Bild, könnte eine besondere Art von epistemischen Objekten erzeugen und zwar, indem Bilder aus ihrem diskursiven und funktionalen Kontext gehoben und damit einer Neubetrachtung unterzogen werden, die sich einer disziplinären Zuordnung entzieht. So ein Wechselbild würde auf eine andere Wirklichkeit verweisen oder auf die Tatsache, dass Bilder eben mehr als eine Wirklichkeit erzeugen. (PAYER GABRIEL) — “Engineering, botany, architecture, mathematics, none of these sciences can describe what they talk about with texts alone; they need to show the things. But this showing, so essential to convince, was utterly impossible before the invention of “graven images.” A text could be copied with only some adulteration, but not so a diagram, an anatomical plate, or a map. (…) We are so used to this world of print and images that we can hardly think of what it is to know something without indexes, bibliographies, dictionaries, papers with references, tables, columns, photographs, peaks, spots, bands.” ( quot.Bruno Latour) Bruno Latour describes how scientific processes are ultimately rendered by visual inscriptions: “What is visible is only the freeze-frame of a process of transformation that remains extremely difficult to grasp, a proper form of invisibility.” There are parallels here to the artistic process of drawing, which is also based on invisibly resonating consideration, thought, research, decision, and rejection. The use of scientific “subject matter” in anti-disciplinary form is a reference to the many invisibilities that scientific images contain. A conflation, even a confusion, of the scientific with the artistic image could create a particular kind of epistemic object, one that relieves images of their discursive and functional context and reconsiders them in a non-disciplinary way. An ambiguous image of this kind would point to a different reality, or to the fact that images create more than one reality. (PAYER GABRIEL)