Christine König Galerie: Kristof SANTY | Epinal

Kristof SANTY | Epinal | 04|04 – 18|05|2024

Die Arbeiten von Kristof Santy (*1987 in Belgien, lebt und arbeitet in Roeselare) bewegen sich an der Schnittstelle von Einzigartigkeit und Gemeinsamkeit. Indem er seine Sujets auf ihre wesentlichsten, unmittelbar erkennbaren Formen abstrahiert und sie anschließend mit Elementen seiner subjektiven Wahrnehmung, seiner Erinnerung und persönlichen Involvierung rekonstruiert, gewinnen sie an Vertrautheit, ohne in Verallgemeinerungen abzugleiten. Vielmehr ermöglicht Santy den Betrachtenden durch diesen intuitiven Prozess der Subtraktion und Addition eine Auseinandersetzung mit seinen Bildern über eine gemeinsame Erfahrung von Soziabilität. In diesem Sinne ähneln seine Werke Images d’Épinal: idealisierte, zugängliche Perspektiven kommunaler Lebensrealitäten, die unser kollektives Bewusstsein aktivieren.
Auch konzeptionell ist Kollektivität eine wesentliche Komponente in Santys Bildern. Trotz seines bewussten Verzichts auf jegliches bildinternes Narrativ ist jedes Werk mit einer Art assoziativer Metadaten und dabei insbesondere mit Spuren menschlicher Präsenz verknüpft. Die Bildgegenstände sind daher eher Artefakte als Naturalien, auf Funktionalität hin entworfen: Ob Schraube, Kaffeemaschine, Spüle oder Speiseteller, Santys Ikonographie des Alltäglichen impliziert stets das menschliche Eingreifen. So koexistieren die abgebildeten Objekte fast empathisch mit anthropoiden Energien, die bereits verschwunden sind oder erst noch eingreifen müssen.
Und selbst wenn wir als Menschen, als Schöpfende und Nutzende, auf diese Weise involviert sind, bedeutet das nicht, dass wir den Zugang zu den Realitäten von Santys Kompositionen kontrollieren. Vielmehr nehmen wir eine passive Rolle ein, die Bildobjekte kommen förmlich auf uns zu: Sie dehnen sich bedrohlich bis an den Rand ihrer Leinwände hin aus, stoßen in ihrem Format beharrlich an die Grenzen der ihnen zugewiesenen Flächen und drohen, uns in ihre Welt zu ziehen. Indem Santy seine Sujets so inhaltlich wie formal reskaliert, sie also den exklusiven Regeln ihrer medialen und bildlichen Kodifizierung anpasst, schafft er eine prekäre, einschüchternde Balance, die die Beziehung des Dargestellten zu seiner physischen Umgebung transformiert und dabei unser eigenes Körperbewusstsein reformiert.
Sofern Narration eine bloße Annahme bleibt, bricht die inhaltliche Bewegungslosigkeit von Santys Gemälden unser konventionelles Verständnis von Zeit als einer kontinuierlichen Abfolge von Existenz, die sich in einer scheinbar linearen Progression von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die Zukunft entfaltet. Stattdessen emittieren Santys Werke eine transtemporale Ruhe, eine Stille, die sich aus einer einzigartigen Dichotomie von formaler und inhaltlicher Planarität ergibt: Wiederkehrende, kräftige Farben, geometrisierte und geflachte Formen überziehen die Leinwand mit präzisen, glatten Pinselstrichen und transformieren sie weniger in einen Bildraum im traditionellen Sinne als in eine Fläche mit räumlichem Potenzial.
Auf diese Weise entsteht Räumlichkeit nicht mit Mitteln der Perspektive, sondern durch Farbe und bietet eine erweiterte Perspektive auf Greenbergs Konzept der flatness. Diese Flachheit, die sich fast zirkulär durch die Kunstgeschichte zieht (man denke nur an mittelalterliche Bildgestaltung sowie den Fauvismus und abstrakte Malerei), ermöglicht und bedingt in Santys Werken eine unerwartete Monumentalität des Dargestellten. Dieselbe Monumentalität, obwohl in zwei Dimensionen angelegt, setzt sich in eine dritte fort und richtet sich sowohl auf die Umgebung als auch auf die Betrachtenden. Auf diese Weise wird jedes Bildelement entfaltet, alles wird sichtbar, lesbar und verstehbar.
In Epinal entwirft der Künstler somit einen Schauplatz kollektiver Wahrnehmung, in dessen Rahmen er uns ein Archiv von Lebensfragmenten präsentiert, eine Neukonzeption und Neuinszenierung der bildnerischen Dialektik zwischen Oberfläche und Tiefe, Realität und Wirkung, Materialität und Bedeutung. Durch die bewusste Abkehr von Narration zugunsten einer immobilen Monumentalisierung des Alltäglichen untersucht Santy das Triviale, fordert dazu heraus, sich dem Gewohnten mit geschärftem Bewusstsein zu stellen, und provoziert die Reflexion unserer eigenen Images d’Épinal. (Teresa Kamencek, 2024)

The works of Kristof Santy (*1987 in Belgium, lives and works in Roeselare) touch on the intersection of singularity and commonality. By abstracting his subjects to their most essential, immediately recognizable forms, and subsequently reconstructing them with elements drawn from his perceptive discoveries, from memory, and personal involvement, they acquire a sense of familiarity without drifting into generalization. Instead, through this intuitive process of subtraction and addition, Santy allows the viewer to engage with his paintings through a shared experience of sociability. In this sense, his works resemble Images d’Épinal: idealized, accessible visions of life that activate our collective consciousness.
Collectivity is also conceptionally embedded in Santy’s subjects. Despite the deliberate rejection of internal narrative, each work is imbued with a kind of associative metadata, and in particular the reminiscence of human presence. These objects are thus artifacts rather than naturalia, designed for functionality: Whether it is a screw, a coffee machine, a sink, or a food platter, the artist’s iconography of the mundane consistently implies human intervention. Hence, present objects empathetically coexist with anthropoid energies that have already disappeared or are yet to get involved.
And even if we as human beings, as creators and users, are somehow implicated, this doesn’t mean that we control access to the realities of Santy’s compositions. Rather, we assume a passive role, the subjects almost literally approaching us: They extend dangerously close to the edge of the canvas, their format allowing them to incessantly push the limits of their assigned plane, threatening to suck us into their realm. Therefore, by rescaling his subjects in size and content, i.e. adapting them to the exclusive rules of their medial and pictorial codification, Santy creates a precarious, intimidating balance that alters the subjects’ relationship to their physical environment, reshaping our bodily awareness in the process.
Similarly, with narration always remaining a mere assumption, the immobility of Santy’s paintings disrupts our conventional understanding of time as a continuous sequence of existence unfolding in a seemingly linear progression from the past, through the present, and into the future. Instead, Santy’s works exude a transtemporal tranquillity, a stillness derived from a unique dichotomy of formal and substantial planarity: Recurring, bright colors, geometrized and flattened shapes cover the canvas with precise, smooth brushwork, remodeling it into a surface with spatial potential rather than pictorial depth in the traditional sense.
In this manner, spatiality emerges not from perspective but through color, offering an expanded perspective on Greenberg’s concept of flatness. This flatness, which recurs almost circularly throughout the history of art (one need only think of medieval art as well as Fauvism and abstract painting), in Santy’s case simultaneously presupposes and facilitates an unexpected monumentality of what is depicted. This same monumentality, although created in two dimensions, extends into the third, pointing both to the surroundings and to the viewer. In this way, every element is unfolded, everything is visible, legible, and comprehensible.
In Epinal, Santy therefore sets the stage for collective perception by offering us an archive of life’s fragments, a re-conceptualisation, and re-enactment of the pictorial dialectic between surface and depth, fact and effect, materiality and meaning. Deliberately shifting from narrative to quietly magnifying the everyday, the artist examines the mundane, challenges us to confront the familiar with heightened awareness, and encourages reflection on our own Images d’Épinal. (Teresa Kamencek, 2024)

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