TRUE COLORS | Thilo Jenssen, Rade Petrasevic, Maruša Sagadin, Toni Schmale

Als Cyndi Lauper 1986 ein Lied von Billy Steinberg und Tom Kelly zum ersten Mal performte, war weder programmiert noch absehbar, dass es zur Hymne einer internationalen Bewegung werden sollte. Ursprünglich war „True Colors“ Steinbergs Mutter gewidmet, Lauper aber betonte nach dem kommerziellen Erfolg des Liedes es hätte sie von Beginn an besonders ergriffen: kurze Zeit vor Veröffentlichung war ein enger Freund an AIDS gestorben. 2008 gründete sie, seit jeher engagiert, einen Verein namens „True Colors Fund“ zur Unterstützung und Prävention von Obdachlosigkeit innerhalb der jungen LGBTQ Community. True Colors ist mittlerweile nicht mehr nur Popreferenz, sondern wurde zum geflügelten Wort für genuine Gefühle, Identitäten und Handlungen abseits einer gesellschaftlich festgelegten Durchschnittsnorm. Die andauernde Reibefläche die dadurch auch in der gegenwärtigen Kunst verhandelt wird kann nach Hanno Rauterberg und Andreas Reckwitz als Ausdruck einer im Kulturkapitalismus aufkeimenden Affektgesellschaft gelesen werden, deren Subjekte (die Künstler) sowohl Gefühle anstelle von Fakten in den Vordergrund stellen, als auch ein klares Bekenntnis zu Angst und Verletzlichkeit ablegen. [1] Diese mit Authentizität verbundene subjektive Empfindung, wie sie u.a. bereits bei Joseph Beuys mit seinen verarbeiteten Kriegstraumas, bei Louise Bourgeois mit ihren Kindheitsängsten und bei Marina Abramović mit dem kontinuierlichen Abarbeiten am Thema Schmerz aufkamen, überzeugen heute, in der unsichtbaren digitalen Welt, v.a. durch ihre Sinnlichkeit. Der Datennebel wird in einer Form greifbar gemacht, die den Betrachter im wahrsten Sinne des Wortes berührt.

Sinnliche Oberflächen vermittelt durch Farbe und Materialität sind dementsprechend das verbindende Element der Arbeiten von Thilo Jenssen, Rade Petrasevic, Maruša Sagadin und Toni Schmale. Die in Wien lebenden und arbeitenden KünstlerInnen haben unterschiedliche Hintergründe in Herkunft, Sozialisierung und Ausbildung und bearbeiten jeweils verschiedene Themen in ihrer Kunst.

Bei Thilo Jenssen (geb. 1984 in Daun, Deutschland) ist es eine Auseinandersetzung mit glatten bis chemisch aufgerauten Oberflächen aus Lacken auf Leinwand oder Styrodur, die wiederum auf gebogenen Metallstangen oder Abstandshaltern angebracht skulptural interagieren. Beeinflusst ist der Künstler von der Finish Fetish Bewegung aus Kalifornien der 1960er Jahre. Dieses formale Erbe überführt er entsprechend seiner ersten Ausbildung als Bildhauer ins Räumliche. Jenssen, der aktuell bei Daniel Richter an der Akademie in Wien diplomiert, arbeitet bewusst mit Material, das seine Oberfläche je nach Betrachterstandpunkt, Temperatur oder Lichteinfall verändert. Er konstruiert somit Farbverläufe, deren konstantes Changieren emotionale Zustände der Kunstwerke nach Außen zu tragen verspricht.

Ebenfalls um Oberflächenveredelung, manchmal durch Temperaturen, geht es Toni Schmale (geb. 1980 in Hamburg). Ihre nicht eindeutig thematisch verortbaren, dysfunktional wirkenden Skulpturen aus schwersten Materialien sind ästhetisch bis zur Perfektion gebürstet, poliert, angelassen, brüniert, pulverbeschichtet und sandgestrahlt. Es sind Maschinen, denen Labels von Fitness über Fetisch bis Folter zugeschrieben werden, und die, kraftvoll wie kritisch, Stellung beziehen zu stereotypen Konstruktionen in unserer Gesellschaft. Die so erschaffenen Projektions- und Reibeflächen lassen eintauchen in Vorstellungen von Machtverhältnissen von Objekt und Subjekt, Begehren, Verletzlichkeit und unbeugsamer Stärke.

Rade Petrasevic (geb. 1982 in Wien) hingegen arbeitet innerhalb figurativer Pseudonarrative. Seine Stillleben und Akte eröffnen Assoziationen zur Malerei der klassischen Moderne und zeitweise zum japanischen Traditionsgenre Shunga. Der Duktus der in Öl gearbeiteten Bilder ist jedoch ein vollständig anderer: wie mit dickem Filzstift in rauer Art gekritzelt, flirren die intensiven Farben vor dem Auge. Die Zeichnung ist es dabei, die über die Malerei dominiert, in enger Wechselwirkung einander bedingend. Seine Themen sind unzählige Male in der Kunstgeschichte ausgereizt worden, und gerade aufgrund dieser universellen Zugänglichkeit interessiert ihn das Hantieren mit Klischees – ohne auf eine Transformation hin zu körperlicher Verformung, Sex und Fetisch zu verzichten.

Aus der Übersetzung von Zitaten aus Architektur und Design in dreidimensionale wie “flache” Objekte erschließt Maruša Sagadin (geb. 1978 in Ljubljana, Slowenien) eine politische Grundhaltung. Ihre glanzvollen und bunten Skulpturen erwecken Erinnerungen an sinnlich spiegelnde Oberflächen von Hochhausfassaden, Luxus-Boutique-Interieurs und übertrieben gewachste Autos, deren schale Welt sie jedoch nur an der Oberfläche reflektiert. Denn im Inneren der Arbeiten steckt Luft von Holz ummantelt; eine bewusst gesetzte Leere. Die (beinahe) zweidimensionalen Arbeiten der Künstlerin kehren das Prinzip um, indem, wie in den hier gezeigten, Beton den Weg in das poröse Polysterol-Äußere findet. Die aufgeschütteten Formen suggerieren Lippenstifte, Karyatiden, Kapitelle oder einen Chippendale – humorvoll und stilsicher gesetzte Gesten zu aufgeladenen Symbolen, deren prätentiöse Zurschaustellung sie entblößt.
(Andrea Kopranovic, 2018)

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[1] Hanno Rauterberg: Wie frei ist die Kunst? Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus, Berlin 2018, S. 98-100.

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