KOENIG2 by_robbygreif: Paul RIEDMÜLLER

Wenn wir künstliche und menschliche Intelligenz als zwei distinkte Instanzen sehen, bewegen sich Paul Riedmüllers (*1989 in Graz, lebt und arbeitet in Wien) Kompositionen in ihrem Zwischenraum. Mit dem zunehmenden Hype um KI-Bildgeneratoren und digitale Kunst im Allgemeinen sind in jüngster Zeit erneut Bedenken über den vermeintlichen Tod der Malerei aufgekommen: Gleitet der Beruf des traditionellen Malers mit Dall-E, Midjourney und NFTs allmählich in die Obsoleszenz?

Paul Riedmüller zeigt, dass solche Infrastrukturen als leistungsstarke Ressource im manuellen Schaffensprozess instrumentalisiert werden können. So nuanciert er apokalyptische Prophetie durch Problematisierung und Empirie: Aus einem unlimitierten Fundus an Bildmaterial, das von Found Footage über KI-generierte Bilder bis hin zu physiologisch erfassten Stimuli reicht, generiert der Künstler collagierte Kompositionen, die er danach in aneignender Entschleunigung abmalt. Durch diesen Prozess reformiert und reproduziert Riedmüller das, was bereits formiert und produziert wurde. Diese Verdoppelung führt zu einer Umkehrung unserer gewohnten Richtungsdynamik: Während wir üblicherweise das Unikale ins Digitale vervielfältigen, reduziert der Künstler die potenziell unendlichen Kopien auf ein Einzelstück.    
Weil Praxis immer nicht nur die Praktizierenden, sondern auch diejenigen, die mit ihr konfrontiert und von ihr betroffen sind, formt und verändert, stellen uns Paul Riedmüllers Bilder vor die fesselnde Aufgabe, ihre mediale und piktorale Kodifizierung zu entziffern. Für den Künstler selbst hingegen ist der Produktionsprozess eine meditative Quelle der Erholung: In berauschender Unendlichkeit von Möglichkeiten lotet er in aller Ruhe die Grenzen der Malerei aus. Mit zahllosen Sprays von geairbrushtem Acryl oder glatter Ölfarbe simuliert er verschiedene Optionen von Bildsprache, die mit wiederkehrenden, ähnlich scheinenden Bildobjekten belebt sind, die sich aber semantisch antikommutativ verhalten: Ein Gemälde mit zwölf Tierdarstellungen erinnert an ein Sachbuch, während das Motiv des Shiba Inus an Meme-Kultur und digitale Währungen erinnert (Crypto Bros wissen Bescheid). Subtiler Humor und spielerisches Experimentieren ist ein grundlegendes Paradigma in Riedmüllers Arbeit.

Aber nicht nur inhaltlich, sondern auch medial operiert der Künstler in vielschichtigen Prozessen. Diverse Schichten mit unterschiedlichsten Texturen und Oberflächenqualitäten überlagern sich, ohne Einschränkung durch Regeln der Kohärenz und mimetischer Organik: Die Darstellung eines klassischen Früchtestilllebens, makellos auf die Leinwand geairbrusht, wird von repetitiven, einheitlich rotierten Landschaftsbildern überschrieben, deren Proportionen nichts mit jenen des Stilllebens gemein haben. In ihrer Zwischenschicht befindet sich ein in schwarzer Linie scheinbar autonomes Reich mit ganz anderen Gestaltungsmitteln, das im Gegensatz zu den körperlichen Früchten flächige, grafische Qualitäten aufweist. Diese optischen Schichten, auf eine einzige Ebene projiziert, verhalten sich wie Vexierbilder: Wird eines fokussiert, werden die anderen praktisch nicht mehr wahrnehmbar. Und doch müssen sie alle vorhanden sein, damit unser Blick durch und über das Gemälde gelenkt wird. Gefangen in dieser kreisförmigen Matrix aus formal referenziellen Schichten, begegnen wir eigentümlichen Sphären der Imagination, die sich jeder traditionellen Beschreibung entziehen. Sie erscheinen als die Verewigung einer zeitlichen und räumlichen Abfolge jenseits der Gegenwart, die Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen in allen Dimensionen gleichsetzt. Die Parameter von Riedmüllers Gemälden ähneln damit denen ungewöhnlich lebhafter Träume, wie Hyperphantasien, die sich in unmittelbaren unterbewussten Erfahrungen manifestieren, die Freud erstaunen würden.
Auf diese Weise schafft Riedmüller autoreflexive Arbeiten, die einerseits Licht und Raum simulieren, Präsenz und Perspektive suggerieren und manipulieren, Sehgewohnheiten in Frage stellen und andererseits das Erscheinungsbild traditioneller Malerei hinterfragen: Das Eindringen der Bilder in den physischen Raum durch ihre Befestigung an Holzkisten gibt ihnen das Potential für eine imaginative Kinetik. Malerei und Skulptur verschmelzen zu einem neuen Möglichkeitsraum, der dimensionale und mediale Grenzen verwischt. Die Ausstellung vermittelt eine Vervielfachung der Wandoberfläche durch Extrusion und erforscht eine Hierarchie der Wahrnehmung durch die Platzierung auf und in Oberflächen. Dieser energetische Aspekt der sich vervielfältigenden Semantik zeigt erneut Riedmüllers Freude am experimentellen Empirismus.

(Teresa Kamencek, 2023)


If we understand artificial and human intelligence as two entirely distinct entities, Paul Riedmüller’s (*1989 in Graz, lives and works in Vienna) compositions exist somewhere in between. Concerns about the demise of painting have resurfaced of late with the increasing hype about AI image generators and digital art in general: Will Dall-E, Midjourney and NFTs put painters out of work? Paul Riedmüller shows that such infrastructures can be instrumentalized as a powerful resource in the manual creative process, thus nuancing such apocalyptic prophecies by problematization and empiricism: Utilizing an unlimited nexus of imagery ranging from found footage to AI generated images to physiologically acquired stimuli, the artist generates collaged compositions that he then paints in appropriative deceleration. Through this process, Riedmüller reshapes and reproduces what initially has already been shaped and produced. This duplication results in a reversal of familiar directional dynamics: While we usually multiply unique into digital, the artist reduces potentially infinite copies into a singular item.

Since practice always shapes and changes not only the practitioner but also those who are confronted with and affected by the practice, Paul Riedmüller’s images leave us with the intriguing challenge of deciphering their medial and pictorial codification. For the artist, however, the production process is a meditative source of recreation. In an exhilarating infinity of options, he calmly explores the contour of painting. With countless puffs of airbrushed acrylic or sleek oil paint he simulates different expressions of visual language filled with recurring pictorial subjects that appear to be similar but are semantically anticommutative: A painting of twelve animal depictions recalls a nonfiction book, while the motif of a Shiba Inu is reminiscent of meme culture and digital currency (crypto bros will know). Subtle humorous and playful experimentation is a fundamental paradigm of Riedmüller’s work.

But not only in terms of content, but also in those of media, the artist engages in a multifaceted process. Various layers with different textures and surface qualities are superimposed without being limited by coherence and mimetic organicism: The classical depiction of a still life with fruits, immaculately airbrushed onto the canvas, is overlaid with tilted, repetitive landscape imagery whose proportions have nothing in common with those of the still life. In the intermediate layer, executed in black line, a seemingly autonomous realm with completely different means of formation which, unlike the corporeal fruits, has planar, graphic qualities. These optical strata, projected onto a single plane, behave like conundrums: If one is focused, others become virtually imperceptible. And yet, all must exist in order for our gaze to be directed through and over the painting. Trapped in this circular matrix of formally referential layers, we encounter peculiar spheres of imaginativeness that defy any traditional form of description. They appear to be the perpetuation of a temporal and spatial sequence beyond the present, equating forwards and backwards in all dimensions. The parameters of Riedmüller’s paintings are thus similar to those of unusually vivid dreams, like hyperphantasia manifested in immediate subconscious experiences that would take Freud by surprise.

In this way, Riedmüller creates autoreflexive works which on one side simulate light and space, suggest and manipulate presence and perspective, challenge visual habits, and on the other side query the appearance of traditional painting: The penetration of the images into physical space through their attachment to wooden crates gives them the potential for imaginative kinetics. Painting and sculpture merge into a novel potential space that blurs dimensional and medial boundaries. Conveying a multiplication of the wall surface through extrusion, the exhibition explores a hierarchy of perception through placement on and within surfaces. This energetic aspect of multiplying semantics again demonstrates Riedmüller’s delight in experimental empiricism.

(Teresa Kamencek, 2023)


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