Mathias WEINFURTER | Arheilgen

Arheilgen - Mathias Weinfurter

Arheilgen

Arheilgen ist der Vorort, in dem Mathias Weinfurter derzeit als Charlotte-Prinz-Stipendiat der Stadt Darmstadt lebt und arbeitet. Mit diesem Titel verortet er seine Arbeiten am Ort ihrer Entstehung, ohne damit seinen konsequenten Anspruch auf deren Universalität aufzugeben. Denn für ihn steht „Arheilgen“ für jeden anderen Ort in der (deutschsprachigen) Provinz. Eine beliebige Vorstadt oder ein Dorf, das auch anders heißen könnte, in dem sich gepflegte Vorgärten, Ein- und Mehrfamilienhäuser aneinanderreihen.

Es sind die vermeintlich generischen Details solcher Orte, die Weinfurter interessieren: Der Doppelstabmattenzaun, der in seinen Arbeiten immer wieder erscheint. Rauputz, der überwiegend in den Sechziger- bis Achtzigerjahren so oder ähnlich millionenfach verarbeitet wurde. Markisen in braun und orange, die im Nachkriegsdeutschland und -österreich Millionen von Menschen Schatten gespendet haben. Die daraus komponierten Reliefs wecken Assoziationen mit persönlichen Gefühlen und Geschichten ebenso wie mit politischem Zeitgeschehen, das vor und hinter diesen Fassaden stattgefunden hat. Auch wenn sich diese Erfahrungen individuell unterscheiden – manche haben sich unter solchen Markisen verliebt, andere zerstritten – fanden sie vor den selben Kulissen statt.

Die Auseinandersetzung mit den Oberflächen der alten Bundesrepublik ist für Weinfurter, der nahe der ehemaligen Hauptstadt Bonn aufwuchs, immer auch gesellschaftspolitisch. Indem er die Texturen verfremdet und neu komponiert, deutet er auf die Ambivalenz dieses Erbes. Wohlstand und Sicherheit hat diese Gesellschaft bis heute nicht für alle zu bieten. In der vertrauten Architektur tauchen Verzerrungen und Risse auf, hinter denen sich die Abgründe von Ausgrenzung, Gewalt und Armut andeuten.

„Arheilgen“ ist die dritte Serie in einer Reihe von Reliefs des Bildhauers. Für die autobiografische Arbeit „Ankerstraße“ (Moltkerei Werkstatt, Köln, 2023) sowie für „Solitär“ (Kunsthalle Darmstadt, 2025) spielte er mit industriell gefertigten Beton-Fassaden großer Wohnanlagen für die Arbeiterklasse. Nun ist es der „Münchner Rauputz“, der vor allem an (klein)bürgerlichen Einfamilienhäusern haftet. Dieser ist nur auf den ersten Blick einheitlich: Bei dessen Verarbeitung ziehen kleine Kiesel unregelmäßige Rillen in den feuchten Putz, sodass sich dabei eine stets individuelle Struktur ergibt. So zeugt die Oberfläche von der Arbeit eines einzelnen Menschen. Die Markise wirkt dabei als sozial verbindendes Element, sie findet sich an Reihenhäusern ebenso wie an Wohnblöcken.

Was Mathias Weinfurter antreibt, ist die Suche nach Formeln und Elementen, um Menschen zusammenzubringen. Zusammen in einer Besinnung auf das Alltägliche, in gemeinsamen Erinnerungen und Vorstellungen vom guten Leben in einer Gegenwart, in der es davon immer weniger gibt.

(Text: Nils Altland, 2025)

Arheilgen

Arheilgen is the suburb where Mathias Weinfurter is currently living and working as a Charlotte Prinz Fellow of the city of Darmstadt. With this title, he locates his works at the site where they are produced, without however giving up his consequent claim to their universality. For him, ‘Arheilgen’ stands for every other location in the (German-speaking) province: any random suburb or village, that could also be called something else, and in which carefully-tended front gardens, as well as single- and multi-family houses line up in rows.

It is the allegedly generic details of such places that interest Weinfurter: the twin wire mesh fence that appears in his work again and again. Roughcast plasterwork, that predominantly was used in the 1960s to the 1980s, in this manner or similarly, millions of times. Window awnings in brown and orange that provided shade for millions of people in post-war Germany and Austria. The reliefs composed from these elements awake associations with personal feelings and stories, and equally with political events that took place in front of and behind these façades. Even when these experiences are individually different – some fell in love below such awnings, others quarrelled – they occurred in front of the same backdrop.

For Weinfurter, who grew up near the former capital city Bonn, the involvement with the surfaces of old West Germany is also always socio-political. In defamiliarizing and newly composing the textures, he indicates the ambivalence of this legacy. This society, until today, does not offer prosperity and security for everyone. Distortions and cracks appear in the familiar architecture, behind which the chasms of marginalization, violence, and poverty loom. 

“Arheilgen” is the third sequence in a series of reliefs by the sculptor. For the autobiographical work “Ankerstraße” (Moltkerei Werkstatt, Köln, 2023) as well as for “Solitär” (Kunsthalle Darmstadt, 2025), he played with industrially-produced concrete façades of large-scale housing complexes for the working class. Now, it is the “Munich roughcast” that adheres to the (lower)middle class single-family houses. This material is only uniform at first glance: while it is being worked, small pebbles create irregular cracks in the damp plaster, so that an individual structure always results. In this way, the surface provides evidence of the work of an individual person. The awning thereby functions as a socially connecting element: it is found on terraced houses as well as on apartment blocks. 

What drives Weinfurter is the search for formulas and elements, in order to bring people together – together in a consideration of the everyday, in common recollections and imaginings of a good life in the here and now, in which there are increasingly fewer and fewer of them.

(Text: Nils Altland, 2025, translation by Sarah Cormack)

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