ERÖFFNUNG: DONNERSTAG, 4. JULI 2024, VON 18 BIS 20 UHR
19 UHR: GERHARD RÜHM LIEST SEINE NEUEN GEDICHTE
DAS BILD UND SEIN BUCH:
Zwei Formen der Erzählung, zwei Formen der Weltwahrnehmung. Während der Betrachter beim Bild meist mit einem Überfluss an Informationen überwältigt wird, die er Stück für Stück zu dechiffrieren versucht, lädt das Buch zur contemplatio ein. Das Zusammenspiel dieser beiden ästhetischen Dispositive ermöglicht somit die Verbindung zwischen Zeit und Raum. So wird das traditionelle Format Ausstellung über sich selbst hinausgehoben und mit anderen Formen der künstlerischen Gestaltung auf neuartige Weise interdisziplinär verschränkt.
Bei GERHARD RÜHM liegen solche Verwebungen und künstlerische Transgressionen besonders nahe: Der nachgerade obsessive Leser, der über eine riesige Bibliothek verfügt, die von den Klassikern bis zu Werken aus jüngster Zeit fast die gesamte abendländische Kulturgeschichte enthält, hat sich in seiner ästhetischen Produktion noch nie auf eine Gattung festlegen lassen: Er experimentiert seit mehr als 70 Jahren im Rahmen der Wiener Gruppe und auch außerhalb mit Sprache, Collage und Poésie sonore.
Ob es nun mit Text versehene Fundstücke aus der Werbung sind oder Manifestationen der konkreten Poesie, wo das Wort gelegentlich den Charakter eines leeren Signifikanten annimmt und sich im Zeilenfall zu einer abstrakten Konfiguration organisiert. Typographie und lautliche Artikulation – traditionellerweise dienende Elemente – gewinnen Selbständigkeit. Sprache wird durchlässig hin zum Graphischen und Musikalischen, zum Visuellen und Akustischen: Grenzen werden überschritten und neue künstlerische Felder mit ‘schreibmaschinenideogrammen’, ‘typocollagen’, ‘frottagen’, ‘schriftzeichnungen”, ‘briefbildern’ und ‘leseliedern’ psychogeographisch durchmessen.
Es geht nicht mehr um Gattungsspezifika, sondern um ein all-over der unterschiedlichsten Sinnesreize, die – mal kognitiv, mal instinktiv – eine panoramatische Vision von einer noch zu entwerfenden Welt jenseits von Gut und Böse künstlerisch evozieren.
DAS BILD UND SEIN BUCH entfaltet somit besonders bei GERHARD RÜHM ein Glasperlenspiel, das sich auf verschiedenen Ebenen manifestiert. ‘Lesen heißt durch fremde Hand träumen’, schrieb einst Fernando Pessoa. Man könnte die Formulierung auch umdrehen: In der Betrachtung von Kunst zu träumen, heißt durch fremde Hand lesen. (Thomas Miessgang, 2024)
—
OPENING: THURSDAY, JULY 4, 2024, 6 PM–8 PM
7 PM: GERHARD RÜHM READS HIS NEW POEMS
DAS BILD UND SEIN BUCH – THE ARTWORK AND ITS BOOK:
two forms of narration, two forms of perception of the world. Whereas the observer of an artwork is mostly overwhelmed with an abundance of information that they attempt to decipher piece by piece, the book invites contemplation. The interplay of these two aesthetic dispositives thereby enables the connection between time and space. In this way, the traditional format of ‘exhibition’ is raised above itself, and interleaved in interdisciplinary fashion with other forms of artistic configuration in innovative ways.
With GERHARD RÜHM such interweavings and artistic transgressions immediately suggest themselves: the absolutely obsessive reader, who has at his command a massive library which, with everything from the classics up to most recent works, contains the entire western cultural history, has never settled on one specific genre in his aesthetic production: for more than 70 years he has been experimenting in the framework of the Wiener Gruppe, as well as beyond this with language, collage, and ‘poésie sonore’.
These might be found objects, furnished with text, from advertising, or manifestations of concrete poetry, where the word occasionally assumes the character of an empty signifier and, in printed alignment, organises itself into an abstract configuration. Typography and phonetic articulation – traditionally ancillary elements – gain autonomy. Language becomes porous, to the graphic and musical, to the visual and acoustic: borders are transgressed and new artistic fields are psychogeographically covered with ‘schreibmaschinenideogrammen’, ‘typocollagen’, ‘frottagen’, ‘schriftzeichnungen’, ‘briefbildern’ and ‘leseliedern’.
It is no longer about specifics of a genre, but instead about an all-over of the most varied sensory input which – sometimes cognitive, sometimes instinctive – artistically evokes a panoramic vision of a not yet conceived world beyond good and evil.
With Gerhard Rühm THE PICTURE AND ITS BOOK thereby unfolds a ‘glasperlenspiel’ that manifests itself on a variety of levels. ‘Lesen heißt durch fremde Hand träumen’, Fernando Pessoa once wrote. One could also reverse the formulation: ‘In der Betrachtung von Kunst zu träumen, heißt durch fremde Hand lesen.” (Thomas Miessgang, 2024, translation by Sarah Cormack)