Dieb Lumen des Bösen
Es gibt eine Platte des Musikers und Bildenden Künstlers Christian Marclay, die den Titel „More Encores“ trägt: Die Klänge, die man dort hören kann, sind Zerstückelungen und Wiederzusammensetzungen der Aufnahmen von Johann Strauss, Jimi Hendrix, Maria Callas, Serge Gainsbourg/ Jane Birkin und etlichen mehr. Und zwar nicht per Computer-Edit – wir schreiben das Jahr 1989 – sondern mithilfe eines Turntables, der variable Geschwindigkeiten und auch sonst allerlei Manipulationsmöglichkeiten bietet. Das ergibt dann, wie zu erwarten, ein bizarres Klangtheater aus akustischen Disruptionen, schrägen Rhythmustaumeleien und musikalischen Palimpseststrukturen, die Wiedererkennbares immer wieder in White Noise kippen lassen.
Die Erklärzeile zum Album besagt: „Christian Marclay plays with the records of …..“ Der Künstler spielt also mit Arbeiten, die einmal als integrale Werke die Öffentlichkeit erreicht haben und hier einer neuen Gestaltungslogik unterworfen werden. Ein in post-postmodernen Zeiten durchaus nicht unübliches Verfahren, das hier aber mit hoher Sensibilität für Valeurs, Timbres, neue Semantiken und dramatische Brüche durchgeführt wird.
Man soll künstlerische Arbeiten aus unterschiedlichen Genres auf keinen Fall analog setzen, doch es gibt ein paar Ähnlichkeiten zur Approximationsästhetik, mit der Manfred Peckl sich das Werk „Die Blumen des Bösen“ von Charles Baudelaire erschliesst: Auch er spielt mit den Versen des Poeten, der in der Literaturgeschichte als der wesentliche Instigator der modernen Dichtung gilt, indem er eine radikale Neukonfiguration des Gedichtzyklus bewerkstelligt: „Ich habe die Blumen mit dem Ziel, die Blätter in Blüten zu verwandeln, in Gräser und Kräuter, wiedergelesen.“ Schon der kunstvoll umsemantisierte Titel von Peckls Arbeit macht klar, worauf der Künstler hinauswill: „Dieb Lumen des Bösen.“ ´Dieb` verweist darauf, dass die Vorstellung von ´Appropriation Art` bei seinem Projekt zumindest als Hintergrundimpuls mitwirkt. ´Lumen` wiederum erinnert an Lumen Christi, einen Ruf aus der Liturgie der Osternacht, der das Licht Christi auch als geistige Illumination nach dem Dunkel der Fastenzeit feiert. In diesem Fall in einem gewissen Gleichklang mit der morbiden Agenda Baudelaires, bei der „die Ketzerlitanei geleiert“ und „Urweltgrausamkeit der Liebe“ beschworen wird, als Licht des Bösen.
Wobei Manfred Peckl klarstellt, dass er sich des Verbotenen, Verruchten und Unmoralischen, das Baudelaires Gedichte bis heute teleportieren, durchaus bewußt ist, aber mit seiner Arbeit eine wechselwirkende Markierung setzen möchte: Die Strophen aus den „Blumen des Bösen“, die vom Künstler als Grundierung der Text-Bild-Assemblagen gesetzt werden, erscheinen in authentischer Reproduktion. Doch ihre poetische Sinneinheit wird von Wortstängeln, Wortwurzeln, Wortblättern und Wortkronen durchsetzt, zerfetzt und überlagert.
So entstehen vegetabile Sprachgebilde, die als pflanzliche Sinnbilder für ein Leben stehen, „wo alles, selbst das Grauen, ein Zauberhauch umwittert“. Dies in scharfem Gegensatz zu den von Baudelaire charakterisierten alten Städten mit ihren winkeligen Falten, „wo hell am Tage das Gespenst den Gänger greift.“
„Das Überlagern mit Textpassagen aus anderen Gedichten ist immer auch übergriffig,“
schreibt Peckl, „eigentlich eine Frechheit, bleibt aber trotzdem eine Hommage.“
Seine Vorgangsweise teilt ein paar Aspekte mit der Konkreten Poesie, vor allem die Tatsache, dass die Sprache sich selbst als Artefakt darstellt. Das graphische Arrangement der Sprachzeichen folgt ähnlichen Gestaltungsprinzipien, auf die in der Konkreten Poesie häufige Reduktion des Wortbestandes aber wird verzichtet. Sinn und Form spielen zusammen, die durch die invasive Bearbeitung der Originalverse von Baudelaire modulierten Gedankensplitter gehen auf metempsychotische Wanderschaft und erzeugen neue Synapsensprünge: „In vielen der Blätter liest sich die Pflanze wie ein Teil des Gedichts, nimmt inhaltlich und formal Stellung, in anderen ist der Störfaktor dominant, als würden Gedanken in Gedanken dringen.“
Manchmal sind ganze Strophen aus den „Blumen des Bösen“ identifizierbar, über die sich nur ein schmales Textband zieht, das in eine unlesbare Wortkrone mündet. Dann wiederum blitzen in einem überlagerten Buchstabenarrangement Sinnpartikel wie „….klingend reich geglückt“ , „…und voll Freude“ … „ ….bis zur Raserei“ auf. Schließlich dringen andere Gedanken in die Gedanken ein und bringen das syntaktische Gefüge vertikal durcheinander: Neben allerlei Blindtext oder besser: erblindetem Text kann man lesen: „an Küssen laben“ „Mund erschliesst“, oder „der Laster Sturm.“
Auf diese Weise werden die Verszeilen von Charles Baudelaire noch einmal durch den Wortmixer geschüttelt, die poetische Verklausulierungslust erlebt im bildsprachlichen Remix ihre gedankliche Hypostase. „Bild und Gedicht koexistieren in unterschiedlicher Gewichtung,“ schreibt Manfred Peckl, „bilden aber stets eine Einheit.“
Ähnlich wie in dem am Beginn zitierten Musikbeispiel erklärt er die Arbeit eines anderen Künstlers zu seinem Material und inauguriert auf diese Weise eine das Raum-Zeit-Kontinuum aufsprengende virtuelle Kooperation: „Die Texte werden nicht illustriert, sondern als Bild zur Metapher ihrer selbst.“ Und „Die Blumen des Bösen“ transmutieren in ihrer pflanzlichen Symbolform zu „Dieb Lumen des Bösen.“
Um es mit den Worten Baudelaires in ihrer in die biomorphe Symbolform übersetzten Manifestation zu sagen:
„Und kannst im Schlummer ihres Mundes /…/ mit Küssen über welke Reize hinzugleiten.“ Und wenn sich die Wortpflanze/ das Pflanzenwort verästelt, ergibt sich folgende gedankliche Abzweigung: „….dem Nichts /…/ Endymion vom Abend bis zum Morgen.“
(Thomas Miessgang, 2025)
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Dieb Lumen des Bösen
There is a record by Christian Marclay with the title “More Encores”: the sounds that one can hear on it are fragmentations and recompositions of recordings by Johann Strauss, Jimi Hendrix, Maria Callas, Serge Gainsbourg/Jane Birkin, et al. Not made by computer edit – we’re talking about the year 1989 – but at that time with the aid of a turntable, offering variable speeds and every other type of possibility of manipulation: a bizarre theatre of sound made of acoustic disruptions, skewed frenzies of rhythm, and musical palimpsest structures.
In the work of Manfred Peckl there are some similarities with the aesthetic of approximation, with which he illuminates the work Die Blumen des Bösen [Les Fleurs du Mal/The Flowers of Evil] by Charles Baudelaire. He plays with the cycle of poems, in that he contrives a radical new configuration: “I read the ‘Flowers’ again with the intent to transform the leaves into blossoms, grasses, and herbs: Dieb Lumen des Bösen.”
Dieb [thief] points to the fact that the notion of appropriation art at least plays a role as a background impulse in his project. Lumen [light], in turn, reminds us of the Lumen Christi, a calling from the liturgy of the Easter vigil that celebrates the light of Christ after the darkness of the period of fasting.
Manfred Peckl also makes it clear that he is aware of the forbidden, the abomination, and the amoral aspects of Baudelaire’s poem cycle. The strophes of “The Flowers of Evil”, which the artist places as a foundation for the text-image assemblages, appear in authentic facsimile, yet are interspersed, shredded, and superimposed. Thus, language formations arise that stand for botanical allegories for a life, “where a magic breath senses everything, even the greyness.”
His approach shares aspects of tangible poetry; meaning and form interact and generate new leaps of synapses: “in many of the leaves, the plants read like a part of the poem, take up a textual and formal position, while in others the factor of disruption is dominant, as if thoughts penetrate thoughts.”
Occasionally, entire strophes from “The Flowers of Evil” are identifiable, and then again particles of meaning such as “…sounding richly successful”, “…and full of joy”, “…up to shaving” flare up in a superimposed arrangement of letters. In this manner, the verse lines by Charles Baudelaire are shaken up once again in the word mixer; the poetical desire for intricate expression experiences its conceptual hypostasis in the metaphorical linguistic remix. “Image and poem coexist in varying degrees of emphasis,” Manfred Peckl writes, “but always constitute a unity.”
In a similar fashion to the musical example cited at the beginning, he explains the work of another artist on his material: “The texts are not illustrated, but [function as] an image for the metaphor for themselves.” And “The Flowers of Evil” are transmuted, in their botanical symbolic form, into Dieb Lumen des Bösen. In order to express it with the words of Baudelaire in their manifestation translated into the biomorphic symbolic form:
“And you can in the slumbering of her mouth/…/with kisses over faded charms slip away.”And if the word plant / plant word branches out, the following conceptual bifurcation arises:“…to the nothingness/…/Endymion from evening until morning.”
(quotation after Thomas Miessgang, 2025, translation by Sarah Cormack)