ANNE SCHNEIDER | anthropomorph und unähnlich

Anne Schneider wurde 1965 in Enns geboren, sie lebt und arbeitet in Wien. 1992-1996 Meisterschülerin bei Michelangelo Pistoletto an der Akademie der bildenen Künste Wien.

Ausgewählte Ausstellungen: 2011 WAX, KUNSTEN Museum of Modern Art Aalborg, Dänemark; WAX. Sensation in Contemporary Sculpture, Kunstforeningen GL STRAND, Kopenhagen, Dänemark; Puppen – Projektionsfiguren in der Kunst, Museum Villa Rot, Deutschland; Geburt der Venus, Vitrine am Fundort der historischen Venus von Willendorf; 2010 Eroi Eroine. Iconologia e simulacro, Castello di Rivalta, Turin, Italien; 2008 Nichts ohne den Körper, Lentos Kunstmuseum Linz; In Deiner Gegenwart, Dortmunder Kunstverein, Deutschland; 2007 Austrian Cultural Forum, Tokyo; 2006 …und Wachs, Christine König Galerie, Wien; 2004 side by side, Christine König Galerie, Wien; 2003 How big is the world?, Kaohsiung Museum of Fine Arts, Taiwan; Mimosen, Rosen, Herbstzeitlosen: Künstlerinnen von 1945 bis zur Gegenwart, Kunsthalle Krems; 2001 …walking to the seat with the clearest view…, Christine König Galerie, Wien; Art/Music, Museum of Contemporary Art, Sydney; Shopping, Generali Foundation, Wien; 2000 Der anagrammatische Körper, ZKM Karlsruhe.

anthropomorph und unähnlich
„In den Träumen durchdringen einander die verschiedenen Wohnungen unseres Lebens und hüten die Schätze der alten Tage. Irgendetwas Geschlossenes muss die Erinnerungen hüten und ihnen dabei ihre Werte als Bilder bewahren.“ (Gaston Bachelard, Poetik des Raumes. Frankfurt am Main 1997, S. 32)

In Anne Schneiders Werk spielt die Auseinandersetzung mit physischen und psychischen Räumen, ihren Bedingungen und Geschichten, und ihre Relation zum Individuum eine wesentliche Rolle. Es sind die Hüllen und Schichten, die uns umgeben und mit denen wir uns schützen, die ihr als Ausgangspunkt für ihre Arbeiten dienen. Wolldecken mit kreisrunden Fehlstellen, die sie übereinander schichtet, Verspannungen von Raumdecke und Boden, Architekturmodelle aus Wachs, die an Fäden im Raum schweben und an Körperhöhlen erinnern, Wohnanlagen, die sie überwacht und auf ihre soziale Struktur hin beobachtet. Immer geht es um den Menschen und die Architektur, um das Individuum und den Raum. Sie setzt dabei bewusst auf strukturelle Analogien und entspinnt ein breitmaschiges Gewebe aus Form- und Erfahrungsverwandtschaften.
Anne Schneider hat in ihren neuesten Arbeiten in bewusster Anlehnung an die übliche Stahlbetonkonstruktion Eisenstäbe mit Beton ummantelt, dem Baumaterial jedoch den Anschein eines weichen Textils verliehen und es so mit einer ungewohnten Vertrautheit versehen. Das kalte und harte Material Beton erfährt durch ihre Handhabung taktile Eigenschaften: menschliche Spuren, Falten, Wölbungen und Narben. Ausgehend von dieser ersten Ummantelung hat sie Arbeiten entwickelt, die das Wechselspiel von Material und Wirkung, Konstruktion und Einrichtung, Architektur und Mensch, Vergangenheit und Gegenwart in vielfältiger Weise fortsetzen.
Der Polster, das Sitzkissen, der Hocker sind skulpturale Formen, die unabhängig von ihrer Machart, Materialität und Herkunft immer auf den Menschen verweisen. Sie repräsentieren die alltägliche Mensch-Objekt-Beziehung und versinnbildlichen seine Körpergrenze, entlang der das Selbst mit der Außenwelt in Kontakt tritt. Doch geht es Anne Schneider nicht um konkrete Körper-Abdrücke in Form von Kuhlen oder Ausbuchtungen in den Betonabgüssen. Es sind die Ablagerungen der Zeit, die Spuren des Gebrauchs, die kollektiven Assoziationen, die Einschreibungen des Unbewussten, die anthropologische Verdichtung in diesen Gebrauchsgegenständen, das Gedächtnis der Objekte, die sie interessieren.Einige Objekte von Anne Schneider offerieren uns wohlbekannte Formen und sind doch (nur) Materialisationen der Leere. Wie Bruce Nauman einst den Leerraum unter seinem Stuhl abgegossen und damit sichtbar und „begreifbar“ gemacht hat, materialisiert auch Anne Schneider das scheinbar Unsichtbare zu Symptomen der Zeit. Jeder Abguss, jeder Abdruck ist Zeugnis einer Berührung, enthält uns jedoch den Kontakt mit dem formgebenden Gegenstand vor. Er wird daher fast zwangsläufig als Trennung, Verlust bzw. Abwesenheit aufgefasst. Jede Abwesenheit indiziert Spuren einer einstigen Anwesenheit und verweist damit auf die zeitliche Dimension von Vergangenheit und unmittelbarer Gegenwart.Gleich einer Archäologin, die es gewohnt ist, Sedimentierungen zu lesen und sich durch Schichten zu arbeiten, präsentiert die Künstlerin ihre Arbeiten in einer vertikalen Ausrichtung. Metallstangen entwachsen den Betongüssen und reichen bis an die Decke, sackähnliche Gebilde falten sich entlang eines Rohrs nach unten, Metallstäbe lehnen nur mit einer hellblauen Aluminiumzeichnung verbunden an der Wand, Schnüre und Bänder hängen von der Decke und strecken biomorphe Objekte in die Länge, eine Wohnungstür teilt den Raum in der Vertikalen und gibt neben einer Metallleiter die Leserichtung für die Arbeiten vor. Der Blick wandert von oben nach unten und lässt die Skulpturen wie auf den Grund gesunken erscheinen, mit der Oberfläche, mit der Gegenwart verbunden durch rätselhafte Antennen. Abgesunken in die Zeit scheinen sie einen imaginären Dialog zu führen und lenken durch die Prothesen, die aus ihrem Inneren zu kommen scheinen, zugleich die Aufmerksamkeit auf ihr „Innenleben“. Ein weiterer Hohlraum mit Sedimenten, Ablagerungen, Spuren eines kollektiven Unbewussten?
Die Gegenstände verharren in der Schwebe. Der Abdruck als Erkennungszeichen oder gar Zeichen der Identität wird unterwandert. Für Anne Schneider ist das Einswerden des Künstlers mit seinem Material, die Berührung und der körperlichen Bezug zu ihm ein entscheidender Faktor. In seinem Buch „Ähnlichkeit und Berührung“ schreibt Georges Didi-Huberman, ein Zitat Gilbert Simondons verwendend: man müsste „zusammen mit der Tonerde in die Form gelangen können, gleichzeitig Form und Ton werden, ihr Zusammenwirken spüren und erleben, um die Formwerdung als solche denken zu können.” Die Formen Anne Schneiders lassen sich nur über das Nachvollziehen dieser Berührung begreifen. (Roman Grabner, Wien/Graz, 2011)


Anne Schneider was born in Enns (Austria) in 1965, she lives and works in Vienna. From 1992-1996 master class with Michelangelo Pistoletto at the Academy of Fine Arts Vienna.

Selected exhibitions: 2011 WAX, KUNSTEN Museum of Modern Art Aalborg, Denmark; WAX. Sensation in Contemporary Sculpture, Kunstforeningen GL STRAND, Copenhagen, Denmark; Puppen – Projektionsfiguren in der Kunst, Museum Villa Rot, Germany; Geburt der Venus, vitrine at the find spot of Venus of Willendorf; 2010 Eroi Eroine. Iconologia e simulacro, Castello di Rivalta, Turin, Italy; 2008 Nichts ohne den Körper, Lentos Kunstmuseum Linz, Austria; In Deiner Gegenwart, Dortmunder Kunstverein, Germany; 2007 Austrian Cultural Forum, Tokyo; 2006 …und Wachs, Christine König Galerie, Vienna; 2004 side by side, Christine König Galerie, Vienna; 2003 How big is the world?, Kaohsiung Museum of Fine Arts, Taiwan; Mimosen, Rosen, Herbstzeitlosen: Künstlerinnen von 1945 bis zur Gegenwart, Kunsthalle Krems, Austria; 2001 …walking to the seat with the clearest view…, Christine König Galerie, Vienna; Art/Music, Museum of Contemporary Art, Sydney; Shopping, Generali Foundation, Vienna; 2000 Der anagrammatische Körper, ZKM Karlsruhe, Germany.

anthropomorphic and dissimilar
A preoccupation with physical and mental spaces, their conditions and histories, and their way of relating to the individual plays a central role in Anne Schneider’s work. The husks, the layers that surround us, that are a protective shield serve her as a point of departure. She stacks wool blankets with circular imperfections, has wires dangle from the ceiling and the floor, architectural models made of wax hang in the room on threads, recalling body cavities, habitats that she keeps watch over, exploring their social structure. Her focus is always the individual and the surrounding architecture and space. Homing in on structural analogies, she creates a loosely knit fabric of formal affinities and related experiences.

In her most recent works Anne Schneider deliberately refers to the usual steel-reinforced concrete construction, sheathing iron rods in concrete, while at the same time giving the construction material the appearance of a soft textile and thus lending it an unusual familiarity. Thanks to the artist’s handling of this cold and hard material it takes on tactile qualities: human traces, folds, curvatures and scars. Based on this initial sheathing, she had developed works that continue in diverse ways this interplay of material and effect, construction and furnishing, architecture and individual, past and present.

The cushion, the pillow, the stool are sculptural forms that always relate to the individual regardless of the way they are made, their material and their origin. They represent the everyday man-object-relationship, symbolizing its corporeal limit along which the individual establishes contact with the outside world. Yet Anne Schneider is not concerned with actual body imprints in the form of hollows or protrusions in the concrete casts. These are the deposits of time, the traces of use, the collective associations, the inscriptions of the unconscious, the anthropological condensation in these functional objects, the memory of objects that capture her interest.

Some of Anne Schneider’s objects present familiar forms, yet they are (only) materializations of a void. Like Bruce Nauman who once made a cast of the empty space below his chair to make it visible and ‘tangible’, Anne Schneider also materializes what is seemingly invisible as symptoms. Each cast, each impression is testimony of a touch, while withholding us the contact with the object that lent its form. It is thus almost automatically grasped as separation, loss or absence. Each absence points to traces of a former presence and thus refers to the temporal dimension of the past and immediate present.

Like an archaeologist who is used to reading sediments and working through layers, the artist presents her works in a vertical dimension. There are metal rods emerging from the concrete casts reaching to the ceiling, formations resembling sacks that are folded along a pipe extending downwards. Metal poles connected with only a light-blue aluminium drawing lean against the wall. Strings and bands hang from the ceiling and stretch biomorphic objects to become longer. A door divides the space vertically and along with a metal ladder indicates the direction in which the works should be read. The gaze wanders from top to bottom. The works appear to have sunken in the ground, remaining connected to the surface, to the present by means of mysterious antennae. Submersed in time they seem to be engaged in an imaginary dialogue. The prostheses that appear to come from their inside also direct attention to their “internal life”. A further cavity with sediments, deposits, traces of a collective unconscious?

The objects remain suspended. The impression as a sign of recognition or even a sign of identity is subverted. For Anne Schneider a decisive factor is the artist becoming one with his/her material, the contact and the way the body relates to it. In his book “Similarity and Touch” Georges Didi-Huberman writes the following, quoting Gilbert Simondon: one would have to “be able to get at the form together with clay, becoming both form and clay. To be able to feel and experience their interaction, to be able to conceive of the emergence of form.” Anne Schneider’s forms can only be grasped by re-experiencing this contact. (Roman Grabner, Vienna/Graz, 2011)

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