KRISTOF SANTY | Icon

Beim Betreten von Kristof Santys geräumigem Atelier oder seines Wohnhauses im belgischen Roeselare verspürt man ein Gefühl von Eifer und Wissensdurst, das von den Objekten ausgeht, die über die Räume und Flure verstreut sind. Neben den erforderlichen Malmaterialien und -gerätschaften findet sich ein großes Regal, das bis an den Rand mit verschiedensten Büchern gefüllt ist, sowie eine umfangreiche Sammlung von beliebigen Gegenständen (Objets trouvés), altmodischen Werkzeugen, Figuren, Souvenirs und Nippes, die den neugierigen und immerzu wissbegierigen Geist des Künstlers erkennen lassen. Es war dieser Aspekt seines Charakters, der ihn bei seinem Wien-Besuch im Jahr 2021 sofort einen besonderen Zugang zur Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums finden ließ. Diese Präsentation einer kompakten, fokussierten Sammlung von Objekten, die entsprechend profunder Kriterien eine größere und tiefere, über ihren alltäglichen Verwendungszweck hinausgehende Bedeutung erhielten, stand im Einklang mit seiner eigenen Vorstellung, materielle Gegenstände nach Qualitäten jenseits ihrer vorgegebenen Zweckbestimmung zu beurteilen. Ungefähr zur gleichen Zeit besuchte der Künstler das Victoria & Albert Museum in London, wo er von dem Kabinett, in dem alte Schlüssel und Schlösser ausgestellt sind, besonders fasziniert war. Alltagswerkzeuge, die wir alle in unseren Taschen mit uns tragen, als kostbares Museumsobjekt präsentiert zu sehen, entsprach ebenfalls wieder Santys Interesse, die Formen eines Gebrauchsgegenstandes zu untersuchen und diesen dann in ein herausragendes formales Motiv auf einer Bildfläche zu verwandeln. 

Diese Haltung gegenüber Materialität und Darstellung steht in gewissem Maße in direktem Gegensatz zu den grundlegenden Ideen von Kasimir Malewitschs Suprematismus, der das Fehlen einer realistischen Darstellung sowie von Kontur, Perspektive oder Dimension verteidigte. Dass Malewitsch 1915 sein ikonisches Schwarzes Quadrat bei der letzten futuristischen Ausstellung der Malerei 0,10 im russischen Petrograd in die Ecke eines Raums hängte, nahm einen entscheidenden Einfluss darauf, welche Richtung die moderne und zeitgenössische Kunst nahm, veranlasste Santy aber auch, den Begriff der Ikone, unser Verhältnis zu Ikonen und das, was sie darstellen, zu überdenken. Bei seiner ersten Einzelausstellung in Österreich spielt der belgische Künstler mit der traditionellen spirituellen Bedeutung des sakralen Kunstwerks, indem er banalste Alltagsgegenstände anstelle der traditionellen religiösen Bildwelt präsentiert. Während er die Beziehung zwischen menschlicher und transzendenter Sphäre untersucht und dem Vater der nicht gegenständlichen oder abstrakten Kunst auf subtile Weise Anerkennung zollt, verfolgt er jedoch stetig sein Hauptinteresse, nämlich die Beschäftigung mit Monumentalität und der direkten Darstellung erkennbarer Formen. Gleich ob er sich mit Alltagskost (Boterham met choco, Dubbele hamburger met vettige saus oder Braadworst, alle Arbeiten von 2021) oder dem breiten Spektrum gewöhnlicher Werkzeuge und Schlüssel auseinandersetzt, betrachtet er die Malerei weiterhin stringent als ein Medium, das stark von der Volkskunsttradition wie auch von Jean Brusselmans Werk beeinflusst ist.  

In seinem künstlerischen Schaffen treibt Santy seine technische Wissbegierde weiter voran und probiert neue Methoden aus, bei denen er die Ölfarben schichtet und manipuliert. Durch die Wiedergabe der schlichten, jedoch formreichen Objekte als Schlüssel oder Bandrolle untersucht er Farbe, Textur und Oberfläche und lässt so eine höchststilisierte Darstellung des alltäglichen Gebrauchsgegenstandes entstehen. Diese Gemälde schildern das akribisch gefertigte Objekt scheinbar mit großer Genauigkeit, doch in Wirklichkeit vermitteln sie nur ihre Körperlichkeit und suggerieren ihren Charakter. Indem der Künstler die Farbe auf unterschiedliche Arten aufträgt und bearbeitet und so wesentliche Strukturelemente erfasst, entwickelt sich der schöpferische Prozess mitunter zur Improvisation mit unerwarteten Ergebnissen weiter. Durch die Platzierung des Motivs in der Mitte der Leinwand vor einem leeren Hintergrund und bis dicht an die Ränder legt der Künstler den Akzent auf die vielfältigen Formen und Oberflächen, während er grundsätzlich elementare Kompositionen in eine spannende monumentale Bildfläche verwandelt. Mit einem Interesse an der Subjektivität von Wahrnehmungen, wie sie in Stanislas Lems Roman Solaris propagiert wird, ist der Materialismus hier als ein formales Vokabular auf der Grundlage einer universal erkennbaren Sprache verwendet. In Kombination mit der konsistenten Farbwahl, die eine Atmosphäre vergangener Zeiten heraufbeschwört, ist jedes Werk von einer sensiblen Stimmung erfüllt, welche die leblosen Gegenstände ein Stück weit beseelt und ihnen eine Form von Persönlichkeit verleiht. Der wohlausgewogene Einsatz formaler Elemente vom Motiv selbst über seine stilisierte Darstellung bis hin zu den reichen Texturen und dem gesamten Erscheinungsbild der Werke unterzieht letztlich unsere Beziehung zu Gebrauchsgegenständen im Kontext der Alltagsdynamik einer erneuten Prüfung. 
(zit. Sasha Bogojev, 2021, übers. von Eva Dewes)     



Upon entering Kristof Santy’s spacious workspace or his family home in Roeselare, Belgium, there is a sense of eagerness and thirst for knowledge that radiates from the objects scattered through the rooms and corridors. Besides the essential painting materials and hardware, there is a large bookshelf filled to the brim with a variety of titles, as well as a vast collection of random possessions, vintage tools, figurines, souvenirs, and trinkets that indicate the artist’s inquisitive and ever curious mind. It was that aspect of his character that instantly connected with the wunderkammer exhibit at Kunsthistorisches Museum in Vienna, during his visit to the city in 2021. Presenting a compact and focused collection of items that by profound criteria earned a greater significance outside their everyday purpose or meaning, the presentation resonated with his own idea of valuing the material objects for qualities beyond their inherent purpose. Around the same time, the artist visited the Victoria and Albert Museum in London and was particularly intrigued by the cabinet exhibiting antique keys and locks. Seeing everyday tools we all carry in our pockets, presented as a precious museum relic, again resonated with Santy’s interest in exploring the common object’s forms and transforming it into a distinguished, formal motif on a picture plane.  

This attitude towards materiality and representation is to some extent in direct opposition with the main ideas of Malevich’s Suprematism, which championed the absence of representation, the lack of contour, perspective, or dimension. The placement of the iconic black square in the corner of the room at The Last Futurist Exhibition of Paintings 0,10 in Petrograd, Russia, in 1915, changed the direction of modern and contemporary art, but also, prompted Santy to rethink the concept of icons, our relationship with them and what they represent. With his Austrian solo debut, Icon, the Belgian artist plays with the spiritual and vernacular meaning of the sacred work of art, proposing the most ordinary everyday objects instead of the traditional religious imagery. Both exploring the connection between human and transcendent as well subtly paying tribute to the father of non-objective or abstract art, he is continuously pursuing his main interest – working with the monumentality and frontal representation of the recognizable forms. Be it everyday food (Boterham met choco, Dubbele hamburger met vettige saus, or Braadworst, all 2021), objects (Lucifer, Fles 1, both 2021), or the wide range of common tools and keys, he is continuing his rigorous research of painting as a medium strongly influenced by the folk art tradition as well as Jean Brusselmans’ oeuvre.  

In this body of work, Santy is further pushing his technical curiosity trying out new methods of layering and manipulating oils. By depicting the simple, yet form-rich objects as keys or a roll of tape, he studies the color, texture, and surface, creating a highly stylized representation of the everyday item. Seemingly depicting the meticulously manufactured device with great precision, in reality, these paintings are merely conveying their physicality and suggesting their personality. Applying and manipulating the paint in a variety of ways so it captures crucial structural elements, the creative process sometimes extends to improvisation with unexpected provisions. Placing the motif in the middle of the format against the blank background and all the way to its borders, the artist is putting the accent on the variety of shapes and surfaces while converting principally elemental compositions into an exciting, monumental picture plane. With an interest in the subjectivity of perceptions as promoted by Stanislaw Lem’s Solaris, materialism is here being employed as a formal vocabulary at the base of a universally recognizable language. In combination with the consistent color choices that evoke the atmosphere of the times past, each piece is imbued with a sentient ambiance, somewhat animating the lifeless subjects and giving them a form of personality. Eventually, the well-balanced use of the formal elements, from the motif itself over its stylized depiction, to the rich textures and the overall physical appearance of the works, reexamines our relationship with everyday objects in the context of everyday life dynamics.  
(quot. Sasha Bogojev, 2021) 

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