Endre Tót
ENDRE TÓT | SEMMI SEM SEMMI | curated by Róna Kopeczky
Christine König Galerie
9 Sep – 8 Oct 2022
About & Press
Die von der Christine König Galerie im Rahmen des curated by Programms
organisierte Ausstellung mit dem Titel SEMMI SEM SEMMI, präsentiert
Werke von Endre Tót, einem der bedeutendsten Figuren der ungarischen
Neo-Avantgarde. Als Teil dieser Generation gilt er auch als führender
Vertreter der internationalen Konzeptkunst und mail art-Szene. Die in
dieser Schau versammelten Arbeiten entstanden zwischen den frühen
Siebzigern und in den Jahren ab 2010. Ab 1970 hatte sich Tót von der
abstrakt-expressionistischen und der informellen Malerei abgewandt,
bevor er in den achtziger Jahren ganz geheim zu einem gestischen Malstil
zurückkehrte, was er dann im Sommer von 2021 offengelegt hat. In diesen
fünf Jahrzehnten entfaltete sich eine thematisch konzeptuelle
Werksgruppe auf der Grundlage einer Reihe von (neuen) Medien, darunter
Künstlerbuch, Telegramm, Postkarte, Schreibmaschine, Post- und
Gummistempeln, Video, Plakate, Graffiti, Transparente und Aktionen. Die
hier gezeigten Arbeiten untersuchen die drei von ihm ab 1971 geprägten
Grundbegriffe Zer0, Joy (Freude) und Rain – konzeptuelle mit Humor und
Spott spielenden Überlebensstrategien, die der Künstler als Reaktion auf
den düsteren realsozialistischen Alltag entwickelte. Vor dem
Hintergrund der traumatischen geopolitischen Ereignisse von diesem Jahr,
des auch an unseren Grenzen tobenden Krieges in der Ukraine und der
noch immerwährenden Ost-West-Dichotomie, die unser Dasein bestimmt, ist
das Leben und das künstlerische Schaffen Endre Tóts von überaus großer
Aktualität. Sein Werk, das sich seit 1979 zwischen Ungarn und
Westdeutschland entfaltet, bildet jedenfalls einen visuellen,
konzeptuellen Gegenpol zu unserer unruhigen Zeit.
Das Konzept mit dem Motiv von Zer0 tauchte in den Mail Art-Aktivitäten des Künstlers auf, einer Form künstlerischer Kommunikation, die seine konzeptuelle Kunst perfekt wiedergab, aber gleichzeitig ab 1971 die einzige Möglichkeit war, von hinter dem Eisernen Vorhang mit den führenden Protagonisten der internationalen Avantgarde zu korrespondieren. Für Tót symbolisierte das Zer0 Zeichen, das die mathematische Vorstellung des Nichts darstellt, vor allem die Absurdität der Kommunikation, aber auch die Vorstellung von Abwesenheit vs. Präsenz. Die philosophischen und politischen Aspekte des Zeichens „0“ zeugten auch vom ontologischen Verständnis der realsozialistischen Lebensbedingungen von StaatsbürgerInnen und KünstlerInnen. Angesichts der Einschränkung der Redefreiheit unter dem sozialistischen Regime war der Text als Kommunikationsform mit einer gewissen Gefahr verbunden. Tóts Arbeiten kommunizierten durch Nicht-Kommunikation, durch Nichts-Sagen und durch das Abbilden der Abwesenheit, wie dies in den Serien Nothing, Absent Painting und Blackout Painting - in unmittelbarer Verbindung mit dem Zer0 Konzept – zum Ausdruck kam.
Die
erste Joy (Freude) Arbeit des Künstlers aus dem Jahr 1971 bestand aus
einem einzigen Satz, der auf Englisch und auf Ungarisch auf einem
postkartengroßen Karton stand: „Es freut mich, dass ich diesen Satz
drucken lassen konnte.“ Angesichts der autoritären Kontrolle, die das
sozialistische Regime über jedwede Form der Veröffentlichung, des
Druckens und der Verbreitung von Texten ausübte, ist Endre Tóts Satz ein
ironischer Ausdruck des Optimismus, den der Staat von seinen
Staatsbürgern einforderte. Tót selbst schrieb folgendes dazu: „Meine
‚Joys‘ widerspiegelten den totalitären Staat der siebziger Jahre. Ich
antwortete mit der absurden Euphorie der Freude auf Zensur, Isolation,
Unterdrückung, die alle Lebensbereiche durchzogen, auch wenn diese
Unterdrückung, die ganz subtil wirkte, kaum sichtbar war.“ Das
Bewusstsein des Künstlers, dass die Autorität ihn für seinen Ausdruck
der Freude nicht belangen konnte, ließ weitere Joy-Arbeiten entstehen,
und bildeten den Auftakt zur Entwicklung und Verbreitung des Themas und
Tóts sich allmählich entfaltenden Aktionismus, insbesondere die Gladness
Demonstrations und die als Very Special Gladnesses bekannte Serie, in
der Bild und Text miteinander assoziiert wurden.
Der Künstler wird bei der Eröffnung anwesend sein und ein ortsspezifisches Stück auf den Wänden des Raums realisieren.
Die Ausstellung wurde in Zusammenarbeit mit der acb Gallery in Budapest organisiert.
Das Konzept mit dem Motiv von Zer0 tauchte in den Mail Art-Aktivitäten des Künstlers auf, einer Form künstlerischer Kommunikation, die seine konzeptuelle Kunst perfekt wiedergab, aber gleichzeitig ab 1971 die einzige Möglichkeit war, von hinter dem Eisernen Vorhang mit den führenden Protagonisten der internationalen Avantgarde zu korrespondieren. Für Tót symbolisierte das Zer0 Zeichen, das die mathematische Vorstellung des Nichts darstellt, vor allem die Absurdität der Kommunikation, aber auch die Vorstellung von Abwesenheit vs. Präsenz. Die philosophischen und politischen Aspekte des Zeichens „0“ zeugten auch vom ontologischen Verständnis der realsozialistischen Lebensbedingungen von StaatsbürgerInnen und KünstlerInnen. Angesichts der Einschränkung der Redefreiheit unter dem sozialistischen Regime war der Text als Kommunikationsform mit einer gewissen Gefahr verbunden. Tóts Arbeiten kommunizierten durch Nicht-Kommunikation, durch Nichts-Sagen und durch das Abbilden der Abwesenheit, wie dies in den Serien Nothing, Absent Painting und Blackout Painting - in unmittelbarer Verbindung mit dem Zer0 Konzept – zum Ausdruck kam.
Die zweite Werksgruppe aus
Endre Tóts frühen konzeptuellen Schaffensphase sind seine Rain Arbeiten.
Das Regenmuster, das er mit einer begrenzten Anzahl von visuellen
Mitteln schuf, indem er wiederholt auf die „/“-Taste auf seiner
Schreibmaschine druckte, ist stets von einem Text begleitet. Der Text
bietet einen fruchtbaren Boden für die geistige Verspieltheit des
künstlerischen Ansatzes, der sich mitunter in Form banaler Tautologie
zeigte, um sich dann wiederum als (selbst) ironischen künstlerischen
Ausdruck oder in humorvollen politischen Bezügen niederzuschlagen.
Vorgefundenes Bildmaterial – Postkarten, Reproduktionen bekannter
Gemälde oder Abbildungen aus Zeitschriften – schufen das
Ausgangsmaterial eines beachtlichen Anteils der „Regen“ Arbeiten, in
welchen der Künstler Texte einfügt, die sich in deutlicher Verbindung
mit visueller Poesie auf das Bild oder die Form des Regens beziehen.
Der Künstler wird bei der Eröffnung anwesend sein und ein ortsspezifisches Stück auf den Wänden des Raums realisieren.
Die Ausstellung wurde in Zusammenarbeit mit der acb Gallery in Budapest organisiert.
(Róna Kopeczky, Budapest, 2022)
Presented
by Christine König Galerie in the framework of the curated by program,
the exhibition entitled SEMMI SEM SEMMI features works by Endre Tót, one
of the most significant figures of the Hungarian neo-avant-garde
generation, as well as an emblematic figure of international conceptual
and mail art. The works comprised in the show were realized between the
early 1970s and the 2010s, after Tót gave up – abstract expressionist
and Informel – painting in 1970, only to return to the painterly gesture
in total secrecy in the 1980s and to reveal this fact in the Summer of
2021. During these five decades, the Hungarian artist elaborated and
unfolded thematic conceptual series in a variety of (new) media such
artist books, telegrams, postcards, typewriting, postal and rubber
stamps, video, posters, graffiti, banners or actions. The pieces on view
in the exhibition investigate the three fundamental concepts he
conceived by 1971, termed Zer0, Joy and Rain, that were elaborated as
conceptual survival strategies using derision and humour against the
grim Socialist everyday life. In the light of this year’s traumatic
geopolitical events, the war in Ukraine raging at our borders, and the
still prevailing East-West dichotomy that shapes our existence, Endre
Tót’s life – balancing between Hungary and West Germany since 1979 – and
works remain sharply relevant, contemporary, therefore offering a
visual, conceptual antidote to our anxious times.
The
concept and motif of Zer0 first made its appearance in the artist’s
mail art activity, a form of artistic communication that conveyed
perfectly his idea-based art, while also constituting the only means to
initiate correspondence as early as 1971 with the most prominent figures
of the international avant-garde from behind the iron curtain. For Tót,
the Zer0 sign, which embodied the mathematical concept of nothing,
primarily symbolised the absurdity of communication, but also the
concepts of absence and presence, while the philosophical and political
aspects of the character “0” certainly reflected an ontological approach
of the condition of both citizens and artists under state Socialism.
The text, as a means of communication – was dangerous grounds
considering how the freedom of speech was curbed in the socialist
regime. Tót’s works, however, communicated by not communicating, by
saying nothing, and by picturing absence, as expressed in the Nothing,
Absent Painting and Blackout Painting series – in direct connection with
the Zer0 concept.
The second
group of artworks from Endre Tót’s early conceptual period are his Rain
pieces. The raining pattern, created with an economy of visual means by
repeatedly hitting the “/” sign on the typewriter, is always accompanied
by text, a fertile ground for the intellectual playfulness
characteristic of Endre Tót’s approach, which at times manifested in the
form of banal tautology, and at other times as (self-)ironic artistic
self-expression or humorous political references. Found pictures –
postcards, reproductions of well-known paintings, or images from
magazines – comprised the basis of a significant portion of the “Rain”
works, in which the artist inserted texts with references to the image
or the shape of the rain, in clear connection with visual poetry.
Made in 1971, Endre Tót’s first Joy-piece which was a single sentence in English and Hungarian on a postcard-sized cardboard sheet: “I am glad that I could have this sentence printed.” In the light of the authoritarian control exerted by the socialist regime over any form of publishing, printing and circulating texts, Tót’s sentence is an ironic expression of the optimism demanded by the state from its citizens. Tót himself writes the following: “My ‘Joys’ were the reflections of the totalitarian state of the seventies. I responded with the absurd euphoria of Joys to censorship, isolation, suppression sensed in every field of life, though this suppression worked with the subtlest means, hardly visible.” The artist’s recognition of the fact that he cannot be held accountable by the authorities for expressing his joy gave rise to further Joy-pieces, the development, universalisation of the topic as well as the Tót’s gradually unfolding actionism, especially the Gladness Demonstrations and the series Very Special Gladnesses, associating image and text.
The artist will be present for the opening and will realise a site-specific piece on the walls of the space.
The exhibition is organised in collaboration with acb Gallery, Budapest.
Made in 1971, Endre Tót’s first Joy-piece which was a single sentence in English and Hungarian on a postcard-sized cardboard sheet: “I am glad that I could have this sentence printed.” In the light of the authoritarian control exerted by the socialist regime over any form of publishing, printing and circulating texts, Tót’s sentence is an ironic expression of the optimism demanded by the state from its citizens. Tót himself writes the following: “My ‘Joys’ were the reflections of the totalitarian state of the seventies. I responded with the absurd euphoria of Joys to censorship, isolation, suppression sensed in every field of life, though this suppression worked with the subtlest means, hardly visible.” The artist’s recognition of the fact that he cannot be held accountable by the authorities for expressing his joy gave rise to further Joy-pieces, the development, universalisation of the topic as well as the Tót’s gradually unfolding actionism, especially the Gladness Demonstrations and the series Very Special Gladnesses, associating image and text.
The artist will be present for the opening and will realise a site-specific piece on the walls of the space.
The exhibition is organised in collaboration with acb Gallery, Budapest.
(Róna Kopeczky, Budapest, 2022, translated by Camilla Nielsen)
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Invite ENDRE TÓT | SEMMI SEM SEMMI | curated by Róna Kopeczky (2022)