VERA KOX | ((undulating))

Den menschlichen Körper als “Korallenriffe voller Polypen, Schwämme, Gorgonien, frei schwimmender Makrophagen, die ständig durch das Monsunklima aus feuchter Luft, Blut und Adern bewegt werden” begreifen. Mit diesem Zitat von Alphonso Lingis führt uns die australische Theoretikerin Astrida Neimanis in ihre Vorstellung von menschlicher Existenz ein, die unseren Körper als Gewässer begreift, das potenzielle Zukünfte und alle möglichen Vergangenheiten in sich trägt. Dieses queere und fließende Verständnis unseres Daseins liegt ihrem Entwurf des „Hydrofeminismus” zugrunde. Sie lädt uns ein, unsere Natur, unsere verworrene Genealogie und unser Körperverständnis als etwas zu überdenken, das durch die Substanz des Wassers grundlegend mit der Welt verbunden ist. Wir saugen auf, was wir gewesen sein könnten, was wir werden könnten oder wie sie es ausdrückt: “our bodies as carrier bags”.

Dieser Gedanke des Aufsaugens oder Absorbierens findet sich auch in der Ausstellung von Vera Kox wieder. Die skulpturalen Elemente, die uns die Künstlerin in einer übergreifenden Installation präsentiert, stammen aus der Serie „… into deliquescence”, die in ihrer ersten Version für den Kunstverein Reutlingen entstand. Der Titel der Serie verweist auf den chemischen Prozess der Deliqueszenz. Hierbei nehmen wasserlösliche Substanzen, die der Luft ausgesetzt sind, atmosphärische Wassermoleküle auf und saugen sich voll. Haben diese Substanzen die Möglichkeit, unbegrenzt Wasser aufzunehmen, kann es zur völligen Auflösung kommen. Für ihre Ausstellung bei KOENIG2 erweitert Kox diesen Gedanken um die visuelle wie auch metaphorische Verflüssigung, die sanfte Wellen schlägt, sich anstößt und räumlich
verändert.

Bei der Betrachtung der Installation von Kox, fallen einem die gelblichen Schaumplatten auf, die im starken Kontrast zu den Elementen aus Glas und Keramik stehen. Sie sind klar als Industrieprodukt zu entlarven. Die große schwarze Skulptur in der Mitte des Raumes hingegen erinnert an überdimensionierte Häutungen, Abdruck nehmend von einem abwesenden, sich wandelnden Körper. Die organische Form und Textur der Skulptur vermittelt Flexibilität, Biegsamkeit und Veränderung und ist doch beim näheren Hinsehen hart, hohl und trocken. Ähnliche Täuschungen entstehen an anderen Stellen im Raum: An der Wand finden sich größere „Pfützen”, die tiefschwarz, nass glänzend und zäh triefend daher kommen und doch in sich erstarrt sind. Sowie die im Schaufenster abgelegten, weich wirkenden keramischen Häutungen. Kox gliedert zwei gegensätzliche Eigenschaften, Weichheit und Härte aneinander und verbindet sie.

Die Werke der Bildhauerin stellen unsere Wahrnehmung auf die Probe und testen das Verhältnis der unterschiedlichen Werkstoffe, der Texturen – ob industriell oder handgemacht – sowie ihre Beziehungen zueinander. Kox befragt unser Verständnis und Verhältnis zu Materialität und Material. Ihre Objekte absorbieren unsere projizierten Ideen und lassen ihre Potenziale fluktuieren, sodass sie sich durch weitere Betrachtung ständig verändern – wie die Welt, in der unsere Körper aus Wasser sich in einem ständigen Zyklus der Veränderung befinden.

Patrick C. Haas, 2022

To conceive the human body as “coral reefs full of polyps, sponges, gorgonians, free swimming macrophages continually stirred by monsoon climates of moist air, blood and veins”. With this quotation by Alphonso Lingis, the Australian theorist Astrida Neimanis introduces us to her vision of human existence — understanding our bodies as bodies of water, containing the potential future and all possible pasts within it. This queer and fluid understanding of our being underlies her concept of “hydrofeminism”. In it, she invites us to reconsider our nature, our entangled genealogy, and our understanding of the body as something that is fundamentally connected with the world through the substance of water. We soak up what we could have been, what we could become, or, as she expresses it: “our bodies as carrier bags.”

This notion of soaking up or absorbing can also be found in the work of Vera Kox. The sculptural elements and comprehensive installation presented by the artist originate from the series “… into deliquescence”, developed in its first iteration for the Kunstverein Reutlingen. The title of the series refers to the chemical process during which solid substances absorb airborne atmospheric water molecules and become wholly saturated. If these substances are exposed to unlimited amounts of water, they may result in total dissolution. For her exhibition at KOENIG2, Kox expands upon the notion of visual as well as metaphorical liquefaction, creating gentle waves and ripples which induce spatial transformation.

In observing the installation, one is struck by the yellowish foam panels, which stand in stark contrast to the glass and ceramic elements. These panels are evidently industrial products. The large black sculpture in the middle of the room, however, is reminiscent of oversized moultings, occupying the imprint of an absent, transforming body. The organic form and texture of the sculpture conveys an impression of flexibility, pliability and transformation, yet upon closer inspection reveals itself as hard, hollow and dry. Similar deceptions arise in other areas in the room: On the wall, large black puddles appear shiny, wet and oozing, when they are in fact completely solidified, as are the seemingly soft ceramic moultings placed in the window display. Kox organises two contrasting properties, softness and hardness, and captures their momentary convergence.

The works of the artist put our perceptions to the test, examining the relationship of differing materials and their textures – whether industrial or hand-made – as well as their associations with each other. Kox interrogates our understanding and relation to materiality and material. Her objects absorb our projected ideas and allow their potential to fluctuate, such that through further observation they constantly change – just like the world, in which our bodies find themselves in a perpetual cycle of transformation.

Patrick C. Haas, 2022 / translated by Sarah Cormack

This exhibition, curated by Patrick C. Haas, is a collaboration between KOENIG2 by_robbygreif, Vienna and Galleri Opdahl, Stavanger.

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