PER DYBVIG | outdrunk from neighbourhood, dead hare surrounded

Als Reisender in Vorstellungswelten erkundet Per Dybvig nicht bloß die unberührten weißen Flecken auf der Landkarte, sondern auch auf dem weißen Zeichenblatt. Sein Bildaufbau ist unkonventionell, die Perspektiven und Proportionen verzerrt, merkwürdige Details sperren sich gegen jede realistische Deutung. Dabei ist Dybvigs Zeichentechnik fast virtuos. Mit feinem Strich verführt er den Betrachter dazu, ihm in seine ebenso schöne wie sinistere Phantasiewelt zu folgen. Diese wirkt wie Szenen in einem absurden Theaterstück oder entgleiste Äsopsche Fabeln, die mit ihrem gedanklichen Zusammenhang auch ihre Moral verloren haben.
Vorbild für Dybvigs Animationen und Zeichnungen, die das Hasenthema variieren, ist die Druckgrafik Die Hasen fangen und braten den Jäger von Georg Pencz aus dem Jahr 1535. Sie zeigt einen Jäger, der an einem kahlen Baum hängt, und Hasen, die einen Festschmaus bereiten. Dybvig überzeichnet das bereits stark stilisierte Renaissance-bild in seinen Filmen zu so lebhaften wie groben Bildern oder, was die Zeichnungen anlangt, zu fein ziselierten Sujets. Das Bizarre, das Verderbte und das Karnevaleske präsentieren sich als Naturphänomene in einer Welt jenseits der unsrigen. Sie gemahnen an etwas, das André Breton 1921 in einem Katalog von Max Ernst so umrissen hat: „Wer weiß, ob wir uns auf diese Weise nicht vorbereiten, eines Tages dem Identitätsprinzip zu entkommen.“
Und Dybvigs Zeichenkunst ist eindeutig surrealistisch. In den Tierzeichnungen lässt er die Protagonisten fürwahr jedes Identitätsprinzip hinter sich lassen. Hier sehen wir einen Ratten-Elch auf dem OP-Tisch, da einen Mann so groß wie ein Teelöffel mit drei Hüten und flankiert von einem kletternden Schwein, dort kolossale rattenartige Tiere. Diese Tierfabeln lassen keinen moralischen Aspekt mehr erkennen. Menschen und Tiere erscheinen in vollkommen verquerten Lagen. Eine Falle giert nach einem falschen Hund, ein betrunkener Insektenmann raucht zwei Zigaretten auf einmal, ein Schwein und seine Freunde tummeln sich durch einen heißen Sommertag.
Mit seinen Bildern geleitet uns Dybvig an die Grenzen der Vernunft. Dort betreten wir das Reich des uns angeborenen Lachens über wirre Phantasien, das Reich der anarchistischen Außenbezirke des Karnevals. Dort nimmt das Menschliche tierische Formen an, und die Tiere sehen nicht mehr wie Tiere aus. Ist das nun ein Hase, ein Fuchs oder eine Ratte? Oder ist es nicht vielmehr ein nagender Elch?
Dybvig dekonstruiert den europäischen Mythos vom einsamen Kämpfer und die alte Idee von Jäger und Gejagtem. Doch indem er das Tierreich verfremdet und zu etwas Unbekanntem macht, schafft er auch seine eigene Taxonomie. Im Nachsinnen über seine Bilder fällt mir ein interessantes Nahverhältnis zwischen Dybvigs Welten und jener Taxonomie auf, von der Michel Foucault im Eingangskapitel seines Buchs Die Ordnung der Dinge schreibt.
Foucault zitiert dort Jorge Luis Borges, der sich wiederum auf eine chinesische Enzyklopädie beruft, die das Tierreich wie folgt einteilt: „a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehörige, i) die sich wie Tolle gebärden, k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, l) und so weiter, m) die den Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von weitem wie Fliegen aussehen.“
UND: Wie sehen sie nun aus, die großen Landschaftszeichnungen bei Christine König in Wien? Dybvig fertigte sie auf Einzelblättern, die jeweils 240 x 420 cm messen – riesengroß also. Seine Landschaften erscheinen präzise und offen, zugleich aber auch vage und abweisend. Ihr Stil erinnert an orientalische oder jahrhundertealte westliche Tuschezeichnungen. Doch Dybvig zeichnet nicht einfach ab. Er überschreitet sowohl die Tradition als auch unsere Erwartungen an die Tradition. Wie bei den Tierzeichnungen, auf denen das grelle Lachen stets einen unheimlichen Schatten trägt, erscheint auch die orientalische Tradition in Dybvigs Zerrspiegel düster. Seine Landschaften sind nicht einfach nur brillant. Aggressiv türmen sich die Landformen übereinander, als harrten sie der Katastrophe. Gleichzeitig deuten sie etwas Organisches, vielleicht sogar Erotisches an. Ihre Ausführung ist so präzise und findig, dass Dybvigs Kunst hier unmittelbar an die alten Meister Ostasiens heranreicht.
(zit. “Drawing in motion” von Trond Borgen, veröffentlicht in Numer, No. 100/2014) 


Per Dybvig is a traveller of the imagination, exploring white areas on the map and on the white drawing paper where no one has laid their hand before: unconventional arrangement of pictorial space, distortion of perspective and scale, strange details that defy the limits of realism, and almost virtuoso drawing techniques. Dybvig seduces us with precise craftsmanship to enter a world of imagery both beautiful and sinister, like scenes in an absurd play, or like fables where Aesop has lost his train of thought and forgotten the point of the story long ago.
The inspiration for the animations and the drawings that show variations on the hare theme comes from a woodblock print dating back to 1535: The Hunter Caught by the Hares, by Georg Pencz, where the hunter has been hanged from a tree and the hares are preparing for a feast. Dybvig distorts the stylised image of the Renaissance into vivid, rough drawings in his films and into delicate, sophisticated pen drawings. The bizarre, the twisted, and the carnivalesque are established as natural phenomena beyond this world, as André Breton points out in the catalogue for a 1921 Max Ernst exhibition: “Who knows if we are not in this manner being prepared for escaping the principle of identity?”
Dybvig’s draftsmanship is most certainly that of a surrealist; in drawings such as these, he does indeed let his characters escape the principle of identity: here we have a rat-moose on the operating table, a teaspoon-sized man with three hats flanked by a climbing pig, rat-like animals larger than men. These animal fables appear to be without moral perspective. Human beings and animals in situations completely askew: a trap for a fake dog, a drunken insect-man smoking two cigarettes at once, a pig with his friends on a hot day.
Dybvig leads us towards our outer edges of reasoning, towards the innate laughter of the dizzying imagination, towards the anarchistic edges of the carnival. The human assumes animal form; the animals no longer look like themselves. Is this a rabbit, a fox or a rat? Or is it in fact a rodent moose?
This is how Dybvig deflates both the Western myth about the lonesome rider and the traditional idea of hunter and prey. But by turning the animal kingdom into something unknown, Dybvig also creates his own taxonomy; faced with these pictures I see an interesting relationship between Dybvig’s world of drawings and the taxonomy described in the opening chapter of Michel Foucault’s book The Order of Things. Foucault quotes Jorge Luis Borges, who in turn quotes a Chinese encyclopaedia, where the animals are divided into: “a. belonging to the Emperor; b. embalmed; c. tame; d. sucking pigs; e. sirens; f. fabulous; g. stray dogs; h. included in the present classification; i. frenzied; j. innumerable; k. drawn with a very fine camel-hair brush; l. et cetera.; m. having just broken the water pitcher; n. that from a long way off look like flies.”
AND: what do they look like, the big Landscape-drawings at Christine König Gallery in Vienna? They are drawn on one single piece of paper, measuring 240 x 420 cm – overwhelmingly large. The landscapes are distinct and open, as well as vague and closed; as a drawing the pictures have references to Oriental art and to ink drawings from several centuries back. But Dybvig does not merely copy; he shatters both tradition and our expectations of it. As in the animal drawings, where the laughter constantly finds its own shadow in that which disturbs us, the old Oriental tradition finds its shadow in a dybvigian distortion. It is no longer just a magnificent landscape; there is also an aggressiveness, with landscape elements piled on top of each other, like in the wake of a disaster, while at the same time they are being shaped into something organic – perhaps even erotic. They are so brilliantly and skillfully executed that Dybvig measures up to the old masters of the East.
(quot. “Drawing in motion” by Trond Borgen, published in Numer, No. 100/2014)

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